Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. auf die Kunst scheint sie nicht ohne Einfluß geblieben zu sein.Weil der aufgehobene Theil des Mantels -- oder des Oberklei- des -- mit Arm und Hand auf der einen Hüfte ruhte, so mochte diese unwillkürlich ein wenig vortreten, um besseren Stützpunkt zu geben. Das sah man der Natur ab und übertrug es in die Kunst, wo es im vierzehnten und noch mehr im funfzehnten Jahrhundert zum Stil wurde und in die auffallendste Manier ausartete, als die erste Ursache im Leben längst nicht mehr exi- stirte. Es sind nicht bloß Madonnen mit dem Kinde auf dem Arm, in welchem Falle man hierin den Grund suchen könnte, welche so dargestellt werden, sondern eine lange Zeit hindurch ist es eine Eigenthümlichkeit der Heiligen sowohl wie überhaupt fast aller Frauen, wenn die Plastik, und auch wohl die Malerei, sie freistehend bildet. Das Unterfutter des Oberkleides war entweder ein anders- Auf denselben Bildern sehen wir zuweilen bei der häuslichen 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. auf die Kunſt ſcheint ſie nicht ohne Einfluß geblieben zu ſein.Weil der aufgehobene Theil des Mantels — oder des Oberklei- des — mit Arm und Hand auf der einen Hüfte ruhte, ſo mochte dieſe unwillkürlich ein wenig vortreten, um beſſeren Stützpunkt zu geben. Das ſah man der Natur ab und übertrug es in die Kunſt, wo es im vierzehnten und noch mehr im funfzehnten Jahrhundert zum Stil wurde und in die auffallendſte Manier ausartete, als die erſte Urſache im Leben längſt nicht mehr exi- ſtirte. Es ſind nicht bloß Madonnen mit dem Kinde auf dem Arm, in welchem Falle man hierin den Grund ſuchen könnte, welche ſo dargeſtellt werden, ſondern eine lange Zeit hindurch iſt es eine Eigenthümlichkeit der Heiligen ſowohl wie überhaupt faſt aller Frauen, wenn die Plaſtik, und auch wohl die Malerei, ſie freiſtehend bildet. Das Unterfutter des Oberkleides war entweder ein anders- Auf denſelben Bildern ſehen wir zuweilen bei der häuslichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0127" n="109"/><fw place="top" type="header">1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.</fw><lb/> auf die Kunſt ſcheint ſie nicht ohne Einfluß geblieben zu ſein.<lb/> Weil der aufgehobene Theil des Mantels — oder des Oberklei-<lb/> des — mit Arm und Hand auf der einen Hüfte ruhte, ſo mochte<lb/> dieſe unwillkürlich ein wenig vortreten, um beſſeren Stützpunkt<lb/> zu geben. Das ſah man der Natur ab und übertrug es in die<lb/> Kunſt, wo es im vierzehnten und noch mehr im funfzehnten<lb/> Jahrhundert zum Stil wurde und in die auffallendſte Manier<lb/> ausartete, als die erſte Urſache im Leben längſt nicht mehr exi-<lb/> ſtirte. Es ſind nicht bloß Madonnen mit dem Kinde auf dem<lb/> Arm, in welchem Falle man hierin den Grund ſuchen könnte,<lb/> welche ſo dargeſtellt werden, ſondern eine lange Zeit hindurch iſt<lb/> es eine Eigenthümlichkeit der Heiligen ſowohl wie überhaupt faſt<lb/> aller Frauen, wenn die Plaſtik, und auch wohl die Malerei, ſie<lb/> freiſtehend bildet.</p><lb/> <p>Das Unterfutter des Oberkleides war entweder ein anders-<lb/> farbiger gewebter Stoff, wie Sammet, Seide, Wolle, oder, wie<lb/> bei vornehmen Damen ritterlichen Standes gewöhnlich anzuneh-<lb/> men iſt, irgend eine Art von edlem Pelzwerk, ſei es Hermelin,<lb/> Zobel, Marder oder ein anderes koſtbares Rauchwerk. Häufig<lb/> waren auch verſchiedene Arten mit einander gemiſcht, ſodaß zum<lb/> Beiſpiel ein weißes Hermelinunterfutter noch mit ſchwarzem Zobel<lb/> gefaßt war. Am Rand der Aermellöcher und am untern Saum<lb/> kommt die Pelzverbrämung ſtets zum Vorſchein. Man trug die<lb/> alſo gefütterten Oberkleider gewöhnlich Winter und Sommer;<lb/> wenigſtens geben die Dichter keine Andeutung, daß die Jahres-<lb/> zeit hierin je einen Unterſchied gemacht hätte. Später geſchah es<lb/> allerdings.</p><lb/> <p>Auf denſelben Bildern ſehen wir zuweilen bei der häuslichen<lb/> und namentlich jugendlichen Tracht das Oberkleid ganz fehlen;<lb/> das Unterkleid erſcheint dann etwas weiter, iſt mit ziemlich regel-<lb/> mäßigen, wie künſtlich gelegten Falten über den Hüften gegürtet<lb/> und nähert ſich dadurch in etwas der oben angedeuteten matro-<lb/> nenhaften Kleidung, die neben der herrſchenden Mode hergeht.<lb/> Die Weite mochte der häuslichen Bequemlichkeit mehr zuſagen.<lb/> Auch fürſtliche Damen entſagen der Mode, wenn ſie in ihrer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0127]
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
auf die Kunſt ſcheint ſie nicht ohne Einfluß geblieben zu ſein.
Weil der aufgehobene Theil des Mantels — oder des Oberklei-
des — mit Arm und Hand auf der einen Hüfte ruhte, ſo mochte
dieſe unwillkürlich ein wenig vortreten, um beſſeren Stützpunkt
zu geben. Das ſah man der Natur ab und übertrug es in die
Kunſt, wo es im vierzehnten und noch mehr im funfzehnten
Jahrhundert zum Stil wurde und in die auffallendſte Manier
ausartete, als die erſte Urſache im Leben längſt nicht mehr exi-
ſtirte. Es ſind nicht bloß Madonnen mit dem Kinde auf dem
Arm, in welchem Falle man hierin den Grund ſuchen könnte,
welche ſo dargeſtellt werden, ſondern eine lange Zeit hindurch iſt
es eine Eigenthümlichkeit der Heiligen ſowohl wie überhaupt faſt
aller Frauen, wenn die Plaſtik, und auch wohl die Malerei, ſie
freiſtehend bildet.
Das Unterfutter des Oberkleides war entweder ein anders-
farbiger gewebter Stoff, wie Sammet, Seide, Wolle, oder, wie
bei vornehmen Damen ritterlichen Standes gewöhnlich anzuneh-
men iſt, irgend eine Art von edlem Pelzwerk, ſei es Hermelin,
Zobel, Marder oder ein anderes koſtbares Rauchwerk. Häufig
waren auch verſchiedene Arten mit einander gemiſcht, ſodaß zum
Beiſpiel ein weißes Hermelinunterfutter noch mit ſchwarzem Zobel
gefaßt war. Am Rand der Aermellöcher und am untern Saum
kommt die Pelzverbrämung ſtets zum Vorſchein. Man trug die
alſo gefütterten Oberkleider gewöhnlich Winter und Sommer;
wenigſtens geben die Dichter keine Andeutung, daß die Jahres-
zeit hierin je einen Unterſchied gemacht hätte. Später geſchah es
allerdings.
Auf denſelben Bildern ſehen wir zuweilen bei der häuslichen
und namentlich jugendlichen Tracht das Oberkleid ganz fehlen;
das Unterkleid erſcheint dann etwas weiter, iſt mit ziemlich regel-
mäßigen, wie künſtlich gelegten Falten über den Hüften gegürtet
und nähert ſich dadurch in etwas der oben angedeuteten matro-
nenhaften Kleidung, die neben der herrſchenden Mode hergeht.
Die Weite mochte der häuslichen Bequemlichkeit mehr zuſagen.
Auch fürſtliche Damen entſagen der Mode, wenn ſie in ihrer
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