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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wieder das Wort: Aber Vorwürfe habe ich Ihnen zu machen: warum haben Sie mir nicht Alles gesagt, da Sie's doch wußten? Sie mußten doch unterrichtet sein, warum haben Sie mir es nicht gesagt, wie es mit ihr steht und in welchen Verbindungen sie lebt, die Ihnen kein Geheimniß sein konnten! Sie mußten es mir sagen! -- Was ich Ihnen sagte, erwiderte Therese mit Ruhe, war genug, um Sie aufmerksam zu machen, mehr konnte ich Ihnen nicht sagen, ich nicht! -- Und warum nicht? versetzte ich; solche Ursachen kann es nicht geben; reden Sie, ich bitte Sie, reden Sie! --

Therese weigerte sich lange, ich sah sie nach ängstlichen Ausflüchten suchen und wurde nur desto dringender, ich bat inständigst, mich nicht abreisen zu lassen, ohne mich über ein Geheimniß, das hier zu walten schiene und das meine Gedanken unaufhörlich quälen würde, zu beruhigen. -- Nun so hören Sie! sagte sie endlich und sah mich lange an, indem mein Auge mit gespannter Erwartung an dem ihrigen hing; sie schien zu stocken, doch nicht zweifelnd, und nach einer großen Stille fuhr sie fort: Auch ich war schwach genug, mich dieser Zartheit schuldig zu machen, aber es war nicht Zartheit, es war Unmöglichkeit; Neigung, tiefe Neigung hielt mich zurück. Sie liebten Eugenien, sie gefiel Ihnen, sie quälte Sie; mehr liebt' ich Sie, mehr quält' ich mich! Nun, da Ihr Glück unmöglich ist, da Ihr Auge mich morgen nicht mehr treffen kann, habe ich auch den unglücklichen Muth, Ihnen zu sagen, wie es

wieder das Wort: Aber Vorwürfe habe ich Ihnen zu machen: warum haben Sie mir nicht Alles gesagt, da Sie's doch wußten? Sie mußten doch unterrichtet sein, warum haben Sie mir es nicht gesagt, wie es mit ihr steht und in welchen Verbindungen sie lebt, die Ihnen kein Geheimniß sein konnten! Sie mußten es mir sagen! — Was ich Ihnen sagte, erwiderte Therese mit Ruhe, war genug, um Sie aufmerksam zu machen, mehr konnte ich Ihnen nicht sagen, ich nicht! — Und warum nicht? versetzte ich; solche Ursachen kann es nicht geben; reden Sie, ich bitte Sie, reden Sie! —

Therese weigerte sich lange, ich sah sie nach ängstlichen Ausflüchten suchen und wurde nur desto dringender, ich bat inständigst, mich nicht abreisen zu lassen, ohne mich über ein Geheimniß, das hier zu walten schiene und das meine Gedanken unaufhörlich quälen würde, zu beruhigen. — Nun so hören Sie! sagte sie endlich und sah mich lange an, indem mein Auge mit gespannter Erwartung an dem ihrigen hing; sie schien zu stocken, doch nicht zweifelnd, und nach einer großen Stille fuhr sie fort: Auch ich war schwach genug, mich dieser Zartheit schuldig zu machen, aber es war nicht Zartheit, es war Unmöglichkeit; Neigung, tiefe Neigung hielt mich zurück. Sie liebten Eugenien, sie gefiel Ihnen, sie quälte Sie; mehr liebt' ich Sie, mehr quält' ich mich! Nun, da Ihr Glück unmöglich ist, da Ihr Auge mich morgen nicht mehr treffen kann, habe ich auch den unglücklichen Muth, Ihnen zu sagen, wie es

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:43:47Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/79>, abgerufen am 30.04.2024.