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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wunderbare Zufall, daß ich gerade an jenem Abend den unglücklichen Kutscher wiederfinden mußte, durch den ich schon im ersten Augenblick hätte Alles erfahren können, machte sie nachdenklich, und endlich fragte sie, ob es mir denn lieb gewesen wäre, gleich anfangs Alles zu erfahren, oder ob ich nicht doch die glückliche Täuschung, die dann unmöglich geworden wäre, vorzöge? Ich aber versicherte, daß die Wahrheit mir um keinen Preis zu theuer sei und ich den Verlust meines Wahnes schon gar nicht mehr auf die wirkliche Eugenie, die mich nie glücklich gemacht, beziehen könne. -- Wir sprachen noch mancherlei über die plötzliche Auflösung der Geschichte, über das seltsame Betragen Anton's und den eben so lügenhaften als verführerischen Reiz Eugeniens. Ach, wie hätte Die glücklich sein können! rief Therese mit einmal vor sich hin, ohne gerade zu wollen, daß ich es hörte. Wie so? fragte ich, Sie haben doch nicht Ursache, dies zu finden? Sind Sie denn nicht ganz glücklich? Dafür hielt ich Sie ganz! Solche Worte können nur von Jemand herkommen, der sich zu beklagen hat; Sie sind ja liebenswürdig genug! -- Das sagen Sie? versetzte sie ernsthaft, ich sage Ihnen, ich bin nicht liebenswürdig genug, gerade nicht liebenswürdig genug. -- Ich sah sie fragend an, als sollte sie weiter reden, allein heftig rief sie aus: Nicht ein Wort mehr! nicht eine Frage mehr! -- und das mit einer Bewegung, die mich wirklich hinderte, weiter zu fragen. Wir sahen Beide vor uns hin, nach einer Weile nahm ich

wunderbare Zufall, daß ich gerade an jenem Abend den unglücklichen Kutscher wiederfinden mußte, durch den ich schon im ersten Augenblick hätte Alles erfahren können, machte sie nachdenklich, und endlich fragte sie, ob es mir denn lieb gewesen wäre, gleich anfangs Alles zu erfahren, oder ob ich nicht doch die glückliche Täuschung, die dann unmöglich geworden wäre, vorzöge? Ich aber versicherte, daß die Wahrheit mir um keinen Preis zu theuer sei und ich den Verlust meines Wahnes schon gar nicht mehr auf die wirkliche Eugenie, die mich nie glücklich gemacht, beziehen könne. — Wir sprachen noch mancherlei über die plötzliche Auflösung der Geschichte, über das seltsame Betragen Anton's und den eben so lügenhaften als verführerischen Reiz Eugeniens. Ach, wie hätte Die glücklich sein können! rief Therese mit einmal vor sich hin, ohne gerade zu wollen, daß ich es hörte. Wie so? fragte ich, Sie haben doch nicht Ursache, dies zu finden? Sind Sie denn nicht ganz glücklich? Dafür hielt ich Sie ganz! Solche Worte können nur von Jemand herkommen, der sich zu beklagen hat; Sie sind ja liebenswürdig genug! — Das sagen Sie? versetzte sie ernsthaft, ich sage Ihnen, ich bin nicht liebenswürdig genug, gerade nicht liebenswürdig genug. — Ich sah sie fragend an, als sollte sie weiter reden, allein heftig rief sie aus: Nicht ein Wort mehr! nicht eine Frage mehr! — und das mit einer Bewegung, die mich wirklich hinderte, weiter zu fragen. Wir sahen Beide vor uns hin, nach einer Weile nahm ich

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[0078] wunderbare Zufall, daß ich gerade an jenem Abend den unglücklichen Kutscher wiederfinden mußte, durch den ich schon im ersten Augenblick hätte Alles erfahren können, machte sie nachdenklich, und endlich fragte sie, ob es mir denn lieb gewesen wäre, gleich anfangs Alles zu erfahren, oder ob ich nicht doch die glückliche Täuschung, die dann unmöglich geworden wäre, vorzöge? Ich aber versicherte, daß die Wahrheit mir um keinen Preis zu theuer sei und ich den Verlust meines Wahnes schon gar nicht mehr auf die wirkliche Eugenie, die mich nie glücklich gemacht, beziehen könne. — Wir sprachen noch mancherlei über die plötzliche Auflösung der Geschichte, über das seltsame Betragen Anton's und den eben so lügenhaften als verführerischen Reiz Eugeniens. Ach, wie hätte Die glücklich sein können! rief Therese mit einmal vor sich hin, ohne gerade zu wollen, daß ich es hörte. Wie so? fragte ich, Sie haben doch nicht Ursache, dies zu finden? Sind Sie denn nicht ganz glücklich? Dafür hielt ich Sie ganz! Solche Worte können nur von Jemand herkommen, der sich zu beklagen hat; Sie sind ja liebenswürdig genug! — Das sagen Sie? versetzte sie ernsthaft, ich sage Ihnen, ich bin nicht liebenswürdig genug, gerade nicht liebenswürdig genug. — Ich sah sie fragend an, als sollte sie weiter reden, allein heftig rief sie aus: Nicht ein Wort mehr! nicht eine Frage mehr! — und das mit einer Bewegung, die mich wirklich hinderte, weiter zu fragen. Wir sahen Beide vor uns hin, nach einer Weile nahm ich

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/78>, abgerufen am 30.04.2024.