Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ohne irgend eine leidenschaftliche Regung an mir ein zärtliches Gefallen zu finden; ich meinerseits gab mich ohne Rückhalt der angenehmen Erwärmung hin, die in flammende Hitze gesteigert zu sehen mich nur erschreckt hätte. Wenn ich gegenwärtig über diesen Zustand nachdenke, so muß ich ihn ernstlich verdammen als eine arglistige Beschleichung, die von den edelsten und schönsten Gebilden der Menschheit den untergeschobenen Wechselbalg schwächlicher und matter Gefühle möchte hegen und pflegen lassen. Das langsame, müde Herz will mit seinen von der ersten tapfern That zerrüttet heimgekehrten Kräften, die dem heißen Kampfe feig entsagen, den Preis und das Glück des Siegs, ohne diesen, wenn auch nur in Scheinbildern dennoch zu gewinnen suchen, und die weichliche Empfindung bequemer Anhänglichkeit, gewohnheitsüßen Umganges, eingebildeter, dem Bedürfniß entsprechender Erfahrungsreife, stellt sich mit ihrem Alltäglichen an den Platz, wo das kräftige Herz mit unverzagter Entscheidung das Außerordentliche eines höhern Geschicks in Glück oder Unglück fordert, und seine jugendlichen Flammen mit naturfreudiger Wahrheit an diese Forderung setzt. Es ist nichts mit den zärtlichen Freundschaften, die sich alle Wärme der Gedanken und den Reiz des möglichen Gefühls erlauben, und daneben gewisse angenommene Uebereinkünfte als ursprüngliche Begrenzungen desselben setzen möchten; das Beste ist alsdann, wenn die Natur durch die Sinne ihre Freiheit zurückfordert und die ohne irgend eine leidenschaftliche Regung an mir ein zärtliches Gefallen zu finden; ich meinerseits gab mich ohne Rückhalt der angenehmen Erwärmung hin, die in flammende Hitze gesteigert zu sehen mich nur erschreckt hätte. Wenn ich gegenwärtig über diesen Zustand nachdenke, so muß ich ihn ernstlich verdammen als eine arglistige Beschleichung, die von den edelsten und schönsten Gebilden der Menschheit den untergeschobenen Wechselbalg schwächlicher und matter Gefühle möchte hegen und pflegen lassen. Das langsame, müde Herz will mit seinen von der ersten tapfern That zerrüttet heimgekehrten Kräften, die dem heißen Kampfe feig entsagen, den Preis und das Glück des Siegs, ohne diesen, wenn auch nur in Scheinbildern dennoch zu gewinnen suchen, und die weichliche Empfindung bequemer Anhänglichkeit, gewohnheitsüßen Umganges, eingebildeter, dem Bedürfniß entsprechender Erfahrungsreife, stellt sich mit ihrem Alltäglichen an den Platz, wo das kräftige Herz mit unverzagter Entscheidung das Außerordentliche eines höhern Geschicks in Glück oder Unglück fordert, und seine jugendlichen Flammen mit naturfreudiger Wahrheit an diese Forderung setzt. Es ist nichts mit den zärtlichen Freundschaften, die sich alle Wärme der Gedanken und den Reiz des möglichen Gefühls erlauben, und daneben gewisse angenommene Uebereinkünfte als ursprüngliche Begrenzungen desselben setzen möchten; das Beste ist alsdann, wenn die Natur durch die Sinne ihre Freiheit zurückfordert und die <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0028"/> ohne irgend eine leidenschaftliche Regung an mir ein zärtliches Gefallen zu finden; ich meinerseits gab mich ohne Rückhalt der angenehmen Erwärmung hin, die in flammende Hitze gesteigert zu sehen mich nur erschreckt hätte. Wenn ich gegenwärtig über diesen Zustand nachdenke, so muß ich ihn ernstlich verdammen als eine arglistige Beschleichung, die von den edelsten und schönsten Gebilden der Menschheit den untergeschobenen Wechselbalg schwächlicher und matter Gefühle möchte hegen und pflegen lassen. Das langsame, müde Herz will mit seinen von der ersten tapfern That zerrüttet heimgekehrten Kräften, die dem heißen Kampfe feig entsagen, den Preis und das Glück des Siegs, ohne diesen, wenn auch nur in Scheinbildern dennoch zu gewinnen suchen, und die weichliche Empfindung bequemer Anhänglichkeit, gewohnheitsüßen Umganges, eingebildeter, dem Bedürfniß entsprechender Erfahrungsreife, stellt sich mit ihrem Alltäglichen an den Platz, wo das kräftige Herz mit unverzagter Entscheidung das Außerordentliche eines höhern Geschicks in Glück oder Unglück fordert, und seine jugendlichen Flammen mit naturfreudiger Wahrheit an diese Forderung setzt. Es ist nichts mit den zärtlichen Freundschaften, die sich alle Wärme der Gedanken und den Reiz des möglichen Gefühls erlauben, und daneben gewisse angenommene Uebereinkünfte als ursprüngliche Begrenzungen desselben setzen möchten; das Beste ist alsdann, wenn die Natur durch die Sinne ihre Freiheit zurückfordert und die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
ohne irgend eine leidenschaftliche Regung an mir ein zärtliches Gefallen zu finden; ich meinerseits gab mich ohne Rückhalt der angenehmen Erwärmung hin, die in flammende Hitze gesteigert zu sehen mich nur erschreckt hätte. Wenn ich gegenwärtig über diesen Zustand nachdenke, so muß ich ihn ernstlich verdammen als eine arglistige Beschleichung, die von den edelsten und schönsten Gebilden der Menschheit den untergeschobenen Wechselbalg schwächlicher und matter Gefühle möchte hegen und pflegen lassen. Das langsame, müde Herz will mit seinen von der ersten tapfern That zerrüttet heimgekehrten Kräften, die dem heißen Kampfe feig entsagen, den Preis und das Glück des Siegs, ohne diesen, wenn auch nur in Scheinbildern dennoch zu gewinnen suchen, und die weichliche Empfindung bequemer Anhänglichkeit, gewohnheitsüßen Umganges, eingebildeter, dem Bedürfniß entsprechender Erfahrungsreife, stellt sich mit ihrem Alltäglichen an den Platz, wo das kräftige Herz mit unverzagter Entscheidung das Außerordentliche eines höhern Geschicks in Glück oder Unglück fordert, und seine jugendlichen Flammen mit naturfreudiger Wahrheit an diese Forderung setzt. Es ist nichts mit den zärtlichen Freundschaften, die sich alle Wärme der Gedanken und den Reiz des möglichen Gefühls erlauben, und daneben gewisse angenommene Uebereinkünfte als ursprüngliche Begrenzungen desselben setzen möchten; das Beste ist alsdann, wenn die Natur durch die Sinne ihre Freiheit zurückfordert und die
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Zitationshilfe: | Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/28>, abgerufen am 17.02.2025. |