Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.heit gegen Eugenien zu stehen, und manche, wie besonders einige ihrer Kunstgenossen, waren, wie ich gewiß wußte, hülfsbedürftig und fanden bei ihrer edlen Großmuth eine willkommene Zuflucht. Unter diesen Umständen konnte meine bessere Menschlichkeit nicht anders als den aufwallenden Unwillen und die böse Laune, die mir der Anblick solcher Umgebung unwillkürlich bereitete, geflissentlich unterdrücken wollen, und dies gelang um so mehr, als Eugeniens Heiterkeit mir inmitten dieser Leute ungleich freundlicher und ausdrücklicher entgegenkam, als wenn wir allein waren. Unsre persönliche Nähe und Vertraulichkeit wuchs seltsamerweise in eben dem Grade unter dem Zwange fremder Gegenwart, als in der Freiheit des Alleinseins die geistige Mittheilung an innerem Vertrauen und Gehalt zunahm. Dieses letztere öfter zu genießen, gab bald der günstige Umstand Gelegenheit, daß ich die Erlaubniß, ich weiß nicht, ob mehr erhielt oder nahm, länger zu verweilen als die Uebrigen, ein vielsagendes Vorrecht der Häuslichkeit, das meinem Sinn ungemein schmeichelte. Mein glückliches Verhältniß vereinigte solchergestalt die bequeme, wohlzufriedene Behaglichkeit, zu der das Leben in spätern Jahren immer begehrender hinneigt, mit jenem feurigen Drange der Jugend, die mit rastloser Glut fortarbeitet, und deren schönes Bewegen ich mehr noch vor mir sah, als in mir fühlte. Die heitre junge Frau schien mir sehr wohlgesinnt zu sein und heit gegen Eugenien zu stehen, und manche, wie besonders einige ihrer Kunstgenossen, waren, wie ich gewiß wußte, hülfsbedürftig und fanden bei ihrer edlen Großmuth eine willkommene Zuflucht. Unter diesen Umständen konnte meine bessere Menschlichkeit nicht anders als den aufwallenden Unwillen und die böse Laune, die mir der Anblick solcher Umgebung unwillkürlich bereitete, geflissentlich unterdrücken wollen, und dies gelang um so mehr, als Eugeniens Heiterkeit mir inmitten dieser Leute ungleich freundlicher und ausdrücklicher entgegenkam, als wenn wir allein waren. Unsre persönliche Nähe und Vertraulichkeit wuchs seltsamerweise in eben dem Grade unter dem Zwange fremder Gegenwart, als in der Freiheit des Alleinseins die geistige Mittheilung an innerem Vertrauen und Gehalt zunahm. Dieses letztere öfter zu genießen, gab bald der günstige Umstand Gelegenheit, daß ich die Erlaubniß, ich weiß nicht, ob mehr erhielt oder nahm, länger zu verweilen als die Uebrigen, ein vielsagendes Vorrecht der Häuslichkeit, das meinem Sinn ungemein schmeichelte. Mein glückliches Verhältniß vereinigte solchergestalt die bequeme, wohlzufriedene Behaglichkeit, zu der das Leben in spätern Jahren immer begehrender hinneigt, mit jenem feurigen Drange der Jugend, die mit rastloser Glut fortarbeitet, und deren schönes Bewegen ich mehr noch vor mir sah, als in mir fühlte. Die heitre junge Frau schien mir sehr wohlgesinnt zu sein und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0027"/> heit gegen Eugenien zu stehen, und manche, wie besonders einige ihrer Kunstgenossen, waren, wie ich gewiß wußte, hülfsbedürftig und fanden bei ihrer edlen Großmuth eine willkommene Zuflucht. Unter diesen Umständen konnte meine bessere Menschlichkeit nicht anders als den aufwallenden Unwillen und die böse Laune, die mir der Anblick solcher Umgebung unwillkürlich bereitete, geflissentlich unterdrücken wollen, und dies gelang um so mehr, als Eugeniens Heiterkeit mir inmitten dieser Leute ungleich freundlicher und ausdrücklicher entgegenkam, als wenn wir allein waren. Unsre persönliche Nähe und Vertraulichkeit wuchs seltsamerweise in eben dem Grade unter dem Zwange fremder Gegenwart, als in der Freiheit des Alleinseins die geistige Mittheilung an innerem Vertrauen und Gehalt zunahm. Dieses letztere öfter zu genießen, gab bald der günstige Umstand Gelegenheit, daß ich die Erlaubniß, ich weiß nicht, ob mehr erhielt oder nahm, länger zu verweilen als die Uebrigen, ein vielsagendes Vorrecht der Häuslichkeit, das meinem Sinn ungemein schmeichelte.</p><lb/> <p>Mein glückliches Verhältniß vereinigte solchergestalt die bequeme, wohlzufriedene Behaglichkeit, zu der das Leben in spätern Jahren immer begehrender hinneigt, mit jenem feurigen Drange der Jugend, die mit rastloser Glut fortarbeitet, und deren schönes Bewegen ich mehr noch vor mir sah, als in mir fühlte. Die heitre junge Frau schien mir sehr wohlgesinnt zu sein und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
heit gegen Eugenien zu stehen, und manche, wie besonders einige ihrer Kunstgenossen, waren, wie ich gewiß wußte, hülfsbedürftig und fanden bei ihrer edlen Großmuth eine willkommene Zuflucht. Unter diesen Umständen konnte meine bessere Menschlichkeit nicht anders als den aufwallenden Unwillen und die böse Laune, die mir der Anblick solcher Umgebung unwillkürlich bereitete, geflissentlich unterdrücken wollen, und dies gelang um so mehr, als Eugeniens Heiterkeit mir inmitten dieser Leute ungleich freundlicher und ausdrücklicher entgegenkam, als wenn wir allein waren. Unsre persönliche Nähe und Vertraulichkeit wuchs seltsamerweise in eben dem Grade unter dem Zwange fremder Gegenwart, als in der Freiheit des Alleinseins die geistige Mittheilung an innerem Vertrauen und Gehalt zunahm. Dieses letztere öfter zu genießen, gab bald der günstige Umstand Gelegenheit, daß ich die Erlaubniß, ich weiß nicht, ob mehr erhielt oder nahm, länger zu verweilen als die Uebrigen, ein vielsagendes Vorrecht der Häuslichkeit, das meinem Sinn ungemein schmeichelte.
Mein glückliches Verhältniß vereinigte solchergestalt die bequeme, wohlzufriedene Behaglichkeit, zu der das Leben in spätern Jahren immer begehrender hinneigt, mit jenem feurigen Drange der Jugend, die mit rastloser Glut fortarbeitet, und deren schönes Bewegen ich mehr noch vor mir sah, als in mir fühlte. Die heitre junge Frau schien mir sehr wohlgesinnt zu sein und
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Zitationshilfe: | Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/27>, abgerufen am 17.02.2025. |