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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

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grade fort und ließ mich nichts anfechten. Denn die
Stadt stieg immer deutlicher und prächtiger vor mir
herauf, und die hohen Burgen und Thore und golde¬
nen Kuppeln glänzten so herrlich im hellen Mondschein,
als ständen wirklich die Engel in goldenen Gewändern
auf den Zinnen und sängen durch die stille Nacht her¬
über.

So zog ich denn endlich, erst an kleinen Häusern
vorbei, dann durch ein prächtiges Thor in die berühmte
Stadt Rom hinein. Der Mond schien zwischen den
Pallästen, als wäre es heller Tag, aber die Straßen
waren schon alle leer, nur hin und wieder lag ein lum¬
piger Kerl, wie ein Todter, in der lauen Nacht auf
den Marmorschwellen und schlief. Dabei rauschten die
Brunnen auf den stillen Plätzen, und die Gärten an
der Straße säuselten dazwischen und erfüllten die Luft
mit erquickenden Düften.

Wie ich nun eben so weiter fort schlendere, und
vor Vergnügen, Mondschein und Wohlgeruch gar nicht
weiß, wohin ich mich wenden soll, läßt sich tief aus
dem einen Garten eine Guitarre hören. Mein Gott,
denk' ich, da ist mir wohl der tolle Student mit dem
langen Ueberrock heimlich nachgesprungen! Darüber
fing eine Dame in dem Garten an überaus lieblich zu
singen. Ich stand ganz wie bezaubert, denn es war die
Stimme der schönen gnädigen Frau, und dasselbe wel¬
sche Liedchen, das sie gar oft zu Hause am offnen Fen¬
ster gesungen hatte.

Da fiel mir auf einmal die schöne alte Zeit mit

grade fort und ließ mich nichts anfechten. Denn die
Stadt ſtieg immer deutlicher und praͤchtiger vor mir
herauf, und die hohen Burgen und Thore und golde¬
nen Kuppeln glaͤnzten ſo herrlich im hellen Mondſchein,
als ſtaͤnden wirklich die Engel in goldenen Gewaͤndern
auf den Zinnen und ſaͤngen durch die ſtille Nacht her¬
uͤber.

So zog ich denn endlich, erſt an kleinen Haͤuſern
vorbei, dann durch ein praͤchtiges Thor in die beruͤhmte
Stadt Rom hinein. Der Mond ſchien zwiſchen den
Pallaͤſten, als waͤre es heller Tag, aber die Straßen
waren ſchon alle leer, nur hin und wieder lag ein lum¬
piger Kerl, wie ein Todter, in der lauen Nacht auf
den Marmorſchwellen und ſchlief. Dabei rauſchten die
Brunnen auf den ſtillen Plaͤtzen, und die Gaͤrten an
der Straße ſaͤuſelten dazwiſchen und erfuͤllten die Luft
mit erquickenden Duͤften.

Wie ich nun eben ſo weiter fort ſchlendere, und
vor Vergnuͤgen, Mondſchein und Wohlgeruch gar nicht
weiß, wohin ich mich wenden ſoll, laͤßt ſich tief aus
dem einen Garten eine Guitarre hoͤren. Mein Gott,
denk' ich, da iſt mir wohl der tolle Student mit dem
langen Ueberrock heimlich nachgeſprungen! Daruͤber
fing eine Dame in dem Garten an uͤberaus lieblich zu
ſingen. Ich ſtand ganz wie bezaubert, denn es war die
Stimme der ſchoͤnen gnaͤdigen Frau, und daſſelbe wel¬
ſche Liedchen, das ſie gar oft zu Hauſe am offnen Fen¬
ſter geſungen hatte.

Da fiel mir auf einmal die ſchoͤne alte Zeit mit

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[82/0092] grade fort und ließ mich nichts anfechten. Denn die Stadt ſtieg immer deutlicher und praͤchtiger vor mir herauf, und die hohen Burgen und Thore und golde¬ nen Kuppeln glaͤnzten ſo herrlich im hellen Mondſchein, als ſtaͤnden wirklich die Engel in goldenen Gewaͤndern auf den Zinnen und ſaͤngen durch die ſtille Nacht her¬ uͤber. So zog ich denn endlich, erſt an kleinen Haͤuſern vorbei, dann durch ein praͤchtiges Thor in die beruͤhmte Stadt Rom hinein. Der Mond ſchien zwiſchen den Pallaͤſten, als waͤre es heller Tag, aber die Straßen waren ſchon alle leer, nur hin und wieder lag ein lum¬ piger Kerl, wie ein Todter, in der lauen Nacht auf den Marmorſchwellen und ſchlief. Dabei rauſchten die Brunnen auf den ſtillen Plaͤtzen, und die Gaͤrten an der Straße ſaͤuſelten dazwiſchen und erfuͤllten die Luft mit erquickenden Duͤften. Wie ich nun eben ſo weiter fort ſchlendere, und vor Vergnuͤgen, Mondſchein und Wohlgeruch gar nicht weiß, wohin ich mich wenden ſoll, laͤßt ſich tief aus dem einen Garten eine Guitarre hoͤren. Mein Gott, denk' ich, da iſt mir wohl der tolle Student mit dem langen Ueberrock heimlich nachgeſprungen! Daruͤber fing eine Dame in dem Garten an uͤberaus lieblich zu ſingen. Ich ſtand ganz wie bezaubert, denn es war die Stimme der ſchoͤnen gnaͤdigen Frau, und daſſelbe wel¬ ſche Liedchen, das ſie gar oft zu Hauſe am offnen Fen¬ ſter geſungen hatte. Da fiel mir auf einmal die ſchoͤne alte Zeit mit

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/92>, abgerufen am 24.11.2024.