dem Strauche, aber sie kam nicht wieder an's Fenster. Da wurde mir die Zeit lang, ich faßte ein Herz und ging nun alle Morgen frank und frei längs dem Schlosse unter allen Fenstern hin. Aber die liebe schö¬ ne Frau blieb immer und immer aus. Eine Strecke weiter sah ich dann immer die andere Dame am Fen¬ ster stehn. Ich hatte sie sonst so genau noch niemals gesehen. Sie war wahrhaftig recht schön roth und dick und gar prächtig und hoffärtig anzusehn, wie eine Tulipane. Ich machte ihr immer ein tiefes Kompli¬ ment, und, ich kann nicht anders sagen, sie dankte mir jedesmal und nickte und blinzelte mit den Augen dazu ganz außerordentlich höflich. -- Nur ein einzigesmal glaub' ich gesehn zu haben, daß auch die Schöne an ihrem Fenster hinter der Gardine stand und versteckt hervor guckte. --
Viele Tage gingen jedoch ins Land, ohne daß ich sie sah. Sie kam nicht mehr in den Garten, sie kam nicht mehr an's Fenster. Der Gärtner schalt mich ei¬ nen faulen Bengel, ich war verdrüßlich, meine eigne Nasenspitze war mir im Wege, wenn ich in Gottes freie Welt hinaus sah.
So lag ich eines Sonntags Nachmittag im Gar¬ ten und ärgerte mich, wie ich so in die blauen Wol¬ ken meiner Tabackspfeife hinaussah, daß ich mich nicht auf ein anderes Handwerk gelegt, und mich also mor¬ gen nicht auch wenigstens auf einen blauen Montag zu freuen hätte. Die andern Bursche waren indeß alle wohlausstaffirt nach den Tanzböden in der nahen Vor¬
dem Strauche, aber ſie kam nicht wieder an's Fenſter. Da wurde mir die Zeit lang, ich faßte ein Herz und ging nun alle Morgen frank und frei laͤngs dem Schloſſe unter allen Fenſtern hin. Aber die liebe ſchoͤ¬ ne Frau blieb immer und immer aus. Eine Strecke weiter ſah ich dann immer die andere Dame am Fen¬ ſter ſtehn. Ich hatte ſie ſonſt ſo genau noch niemals geſehen. Sie war wahrhaftig recht ſchoͤn roth und dick und gar praͤchtig und hoffaͤrtig anzuſehn, wie eine Tulipane. Ich machte ihr immer ein tiefes Kompli¬ ment, und, ich kann nicht anders ſagen, ſie dankte mir jedesmal und nickte und blinzelte mit den Augen dazu ganz außerordentlich hoͤflich. — Nur ein einzigesmal glaub' ich geſehn zu haben, daß auch die Schoͤne an ihrem Fenſter hinter der Gardine ſtand und verſteckt hervor guckte. —
Viele Tage gingen jedoch ins Land, ohne daß ich ſie ſah. Sie kam nicht mehr in den Garten, ſie kam nicht mehr an's Fenſter. Der Gaͤrtner ſchalt mich ei¬ nen faulen Bengel, ich war verdruͤßlich, meine eigne Naſenſpitze war mir im Wege, wenn ich in Gottes freie Welt hinaus ſah.
So lag ich eines Sonntags Nachmittag im Gar¬ ten und aͤrgerte mich, wie ich ſo in die blauen Wol¬ ken meiner Tabackspfeife hinausſah, daß ich mich nicht auf ein anderes Handwerk gelegt, und mich alſo mor¬ gen nicht auch wenigſtens auf einen blauen Montag zu freuen haͤtte. Die andern Burſche waren indeß alle wohlausſtaffirt nach den Tanzboͤden in der nahen Vor¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0022"n="12"/>
dem Strauche, aber ſie kam nicht wieder an's Fenſter.<lb/>
Da wurde mir die Zeit lang, ich faßte ein Herz und<lb/>
ging nun alle Morgen frank und frei laͤngs dem<lb/>
Schloſſe unter allen Fenſtern hin. Aber die liebe ſchoͤ¬<lb/>
ne Frau blieb immer und immer aus. Eine Strecke<lb/>
weiter ſah ich dann immer die andere Dame am Fen¬<lb/>ſter ſtehn. Ich hatte ſie ſonſt ſo genau noch niemals<lb/>
geſehen. Sie war wahrhaftig recht ſchoͤn roth und<lb/>
dick und gar praͤchtig und hoffaͤrtig anzuſehn, wie eine<lb/>
Tulipane. Ich machte ihr immer ein tiefes Kompli¬<lb/>
ment, und, ich kann nicht anders ſagen, ſie dankte mir<lb/>
jedesmal und nickte und blinzelte mit den Augen dazu<lb/>
ganz außerordentlich hoͤflich. — Nur ein einzigesmal<lb/>
glaub' ich geſehn zu haben, daß auch die Schoͤne an<lb/>
ihrem Fenſter hinter der Gardine ſtand und verſteckt<lb/>
hervor guckte. —</p><lb/><p>Viele Tage gingen jedoch ins Land, ohne daß ich<lb/>ſie ſah. Sie kam nicht mehr in den Garten, ſie kam<lb/>
nicht mehr an's Fenſter. Der Gaͤrtner ſchalt mich ei¬<lb/>
nen faulen Bengel, ich war verdruͤßlich, meine eigne<lb/>
Naſenſpitze war mir im Wege, wenn ich in Gottes<lb/>
freie Welt hinaus ſah.</p><lb/><p>So lag ich eines Sonntags Nachmittag im Gar¬<lb/>
ten und aͤrgerte mich, wie ich ſo in die blauen Wol¬<lb/>
ken meiner Tabackspfeife hinausſah, daß ich mich nicht<lb/>
auf ein anderes Handwerk gelegt, und mich alſo mor¬<lb/>
gen nicht auch wenigſtens auf einen blauen Montag<lb/>
zu freuen haͤtte. Die andern Burſche waren indeß alle<lb/>
wohlausſtaffirt nach den Tanzboͤden in der nahen Vor¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[12/0022]
dem Strauche, aber ſie kam nicht wieder an's Fenſter.
Da wurde mir die Zeit lang, ich faßte ein Herz und
ging nun alle Morgen frank und frei laͤngs dem
Schloſſe unter allen Fenſtern hin. Aber die liebe ſchoͤ¬
ne Frau blieb immer und immer aus. Eine Strecke
weiter ſah ich dann immer die andere Dame am Fen¬
ſter ſtehn. Ich hatte ſie ſonſt ſo genau noch niemals
geſehen. Sie war wahrhaftig recht ſchoͤn roth und
dick und gar praͤchtig und hoffaͤrtig anzuſehn, wie eine
Tulipane. Ich machte ihr immer ein tiefes Kompli¬
ment, und, ich kann nicht anders ſagen, ſie dankte mir
jedesmal und nickte und blinzelte mit den Augen dazu
ganz außerordentlich hoͤflich. — Nur ein einzigesmal
glaub' ich geſehn zu haben, daß auch die Schoͤne an
ihrem Fenſter hinter der Gardine ſtand und verſteckt
hervor guckte. —
Viele Tage gingen jedoch ins Land, ohne daß ich
ſie ſah. Sie kam nicht mehr in den Garten, ſie kam
nicht mehr an's Fenſter. Der Gaͤrtner ſchalt mich ei¬
nen faulen Bengel, ich war verdruͤßlich, meine eigne
Naſenſpitze war mir im Wege, wenn ich in Gottes
freie Welt hinaus ſah.
So lag ich eines Sonntags Nachmittag im Gar¬
ten und aͤrgerte mich, wie ich ſo in die blauen Wol¬
ken meiner Tabackspfeife hinausſah, daß ich mich nicht
auf ein anderes Handwerk gelegt, und mich alſo mor¬
gen nicht auch wenigſtens auf einen blauen Montag
zu freuen haͤtte. Die andern Burſche waren indeß alle
wohlausſtaffirt nach den Tanzboͤden in der nahen Vor¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/22>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.