gann auf einmal draußen in dem Garten ein wunder¬ schöner Gesang. Es war ein altes frommes Lied, das er in seiner Kindheit oft gehört und seitdem über den wechselnden Bildern der Reise fast vergessen hatte. Er wurde ganz zerstreut, denn es kam ihm zugleich vor, als wäre es Fortunato's Stimme. -- "Kennt ihr den Sänger?" fragte er rasch die Dame. Diese schien or¬ deutlich erschrocken und verneinte es verwirrt. Dann saß sie lange im stummen Nachsinnen da.
Florio hatte unterdeß Zeit und Freiheit, die wun¬ derlichen Verzierungen des Gemaches genau zu be¬ trachten. Es war nur matt durch einige Kerzen er¬ leuchtet, die von zwei ungeheuern, aus der Wand her¬ vorragenden Armen gehalten wurden. Hohe, auslän¬ dische Blumen, die in künstlichen Krügen umherstan¬ den, verbreiteten einen berauschenden Duft. Gegen¬ über stand eine Reihe marmorner Bildsäulen, über deren reizende Formen die schwankenden Lichter lüstern auf und nieder schweiften. Die übrigen Wände füll¬ ten köstliche Tapeten mit in Seide gewirkten lebens¬ großen Historien von ausnehmender Frische.
Mit Verwunderung glaubte Florio, in allen den Damen, die er in diesen letzteren Schildereien erblickte, die schöne Herrin des Hauses deutlich wieder zu er¬ kennen. Bald erschien sie, den Falken auf der Hand, wie er sie vorhin gesehen hatte, mit einem jungen Rit¬ ter auf die Jagd reitend, bald war sie in einem präch¬ tigen Rosengarten vorgestellt, wie ein andrer schöner Edelknabe auf den Knien zu ihren Füßen lag.
gann auf einmal draußen in dem Garten ein wunder¬ ſchoͤner Geſang. Es war ein altes frommes Lied, das er in ſeiner Kindheit oft gehoͤrt und ſeitdem uͤber den wechſelnden Bildern der Reiſe faſt vergeſſen hatte. Er wurde ganz zerſtreut, denn es kam ihm zugleich vor, als waͤre es Fortunato's Stimme. — „Kennt ihr den Saͤnger?“ fragte er raſch die Dame. Dieſe ſchien or¬ deutlich erſchrocken und verneinte es verwirrt. Dann ſaß ſie lange im ſtummen Nachſinnen da.
Florio hatte unterdeß Zeit und Freiheit, die wun¬ derlichen Verzierungen des Gemaches genau zu be¬ trachten. Es war nur matt durch einige Kerzen er¬ leuchtet, die von zwei ungeheuern, aus der Wand her¬ vorragenden Armen gehalten wurden. Hohe, auslaͤn¬ diſche Blumen, die in kuͤnſtlichen Kruͤgen umherſtan¬ den, verbreiteten einen berauſchenden Duft. Gegen¬ uͤber ſtand eine Reihe marmorner Bildſaͤulen, uͤber deren reizende Formen die ſchwankenden Lichter luͤſtern auf und nieder ſchweiften. Die uͤbrigen Waͤnde fuͤll¬ ten koͤſtliche Tapeten mit in Seide gewirkten lebens¬ großen Hiſtorien von ausnehmender Friſche.
Mit Verwunderung glaubte Florio, in allen den Damen, die er in dieſen letzteren Schildereien erblickte, die ſchoͤne Herrin des Hauſes deutlich wieder zu er¬ kennen. Bald erſchien ſie, den Falken auf der Hand, wie er ſie vorhin geſehen hatte, mit einem jungen Rit¬ ter auf die Jagd reitend, bald war ſie in einem praͤch¬ tigen Roſengarten vorgeſtellt, wie ein andrer ſchoͤner Edelknabe auf den Knien zu ihren Fuͤßen lag.
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gann auf einmal draußen in dem Garten ein wunder¬
ſchoͤner Geſang. Es war ein altes frommes Lied, das
er in ſeiner Kindheit oft gehoͤrt und ſeitdem uͤber den
wechſelnden Bildern der Reiſe faſt vergeſſen hatte. Er
wurde ganz zerſtreut, denn es kam ihm zugleich vor,
als waͤre es Fortunato's Stimme. — „Kennt ihr den
Saͤnger?“ fragte er raſch die Dame. Dieſe ſchien or¬
deutlich erſchrocken und verneinte es verwirrt. Dann
ſaß ſie lange im ſtummen Nachſinnen da.
Florio hatte unterdeß Zeit und Freiheit, die wun¬
derlichen Verzierungen des Gemaches genau zu be¬
trachten. Es war nur matt durch einige Kerzen er¬
leuchtet, die von zwei ungeheuern, aus der Wand her¬
vorragenden Armen gehalten wurden. Hohe, auslaͤn¬
diſche Blumen, die in kuͤnſtlichen Kruͤgen umherſtan¬
den, verbreiteten einen berauſchenden Duft. Gegen¬
uͤber ſtand eine Reihe marmorner Bildſaͤulen, uͤber
deren reizende Formen die ſchwankenden Lichter luͤſtern
auf und nieder ſchweiften. Die uͤbrigen Waͤnde fuͤll¬
ten koͤſtliche Tapeten mit in Seide gewirkten lebens¬
großen Hiſtorien von ausnehmender Friſche.
Mit Verwunderung glaubte Florio, in allen den
Damen, die er in dieſen letzteren Schildereien erblickte,
die ſchoͤne Herrin des Hauſes deutlich wieder zu er¬
kennen. Bald erſchien ſie, den Falken auf der Hand,
wie er ſie vorhin geſehen hatte, mit einem jungen Rit¬
ter auf die Jagd reitend, bald war ſie in einem praͤch¬
tigen Roſengarten vorgeſtellt, wie ein andrer ſchoͤner
Edelknabe auf den Knien zu ihren Fuͤßen lag.
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/194>, abgerufen am 27.07.2024.
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