Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

welche die verkleidete Flora stündlich erwarteten, und
mit mehr Diensteifer als Scharfsinn Dich für das
Fräulein hielten. Selbst hier auf dem Schlosse glaubte
man, daß Flora auf dem Felsen wohne, man erkundigte
sich, man schrieb an sie -- hast Du nicht ein Briefchen
erhalten?" -- Bei diesen Worten fuhr ich blitzschnell
mit dem Zettel aus der Tasche. -- "Also dieser Brief?" --
"Ist an mich," sagte Fräulein Flora, die bisher auf
unsre Rede gar nicht Acht zu geben schien, riß mir
den Zettel rasch aus der Hand, überlas ihn und steckte
ihn dann in den Busen. -- "Und nun," sagte Herr
Leonhard, "müssen wir schnell in das Schloß, da wartet
schon Alles auf uns. Also zum Schluß, wie sich's von
selbst versteht und einem wohlerzognen Romane ge¬
bührt: Entdeckung, Reue, Versöhnung, wir sind alle
wieder lustig beisammen, und übermorgen ist Hochzeit!"

Da er noch so sprach, erhob sich plötzlich in dem
Gebüsch ein rasender Spektakel von Pauken und Trom¬
peten, Hörnern und Posaunen; Böller wurden dazwi¬
schen gelöst und Vivat gerufen, die kleinen Mädchen
tanzten von neuem, und aus allen Sträuchern kam ein
Kopf über dem andern hervor, als wenn sie aus der
Erde wüchsen. Ich sprang in dem Geschwirre und
Geschleife Ellenhoch von einer Seite zur andern, da
es aber schon dunkel wurde, erkannte ich erst nach und
nach alle die alten Gesichter wieder. Der alte Gärt¬
ner schlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren
Mänteln musizirten mitten darunter, neben ihnen fin¬
gerte der Portier wie toll auf seinem Fagott. Wie ich

welche die verkleidete Flora ſtuͤndlich erwarteten, und
mit mehr Dienſteifer als Scharfſinn Dich fuͤr das
Fraͤulein hielten. Selbſt hier auf dem Schloſſe glaubte
man, daß Flora auf dem Felſen wohne, man erkundigte
ſich, man ſchrieb an ſie — haſt Du nicht ein Briefchen
erhalten?“ — Bei dieſen Worten fuhr ich blitzſchnell
mit dem Zettel aus der Taſche. — „Alſo dieſer Brief?“ —
„Iſt an mich,“ ſagte Fraͤulein Flora, die bisher auf
unſre Rede gar nicht Acht zu geben ſchien, riß mir
den Zettel raſch aus der Hand, uͤberlas ihn und ſteckte
ihn dann in den Buſen. — „Und nun,“ ſagte Herr
Leonhard, „muͤſſen wir ſchnell in das Schloß, da wartet
ſchon Alles auf uns. Alſo zum Schluß, wie ſich's von
ſelbſt verſteht und einem wohlerzognen Romane ge¬
buͤhrt: Entdeckung, Reue, Verſoͤhnung, wir ſind alle
wieder luſtig beiſammen, und uͤbermorgen iſt Hochzeit!“

Da er noch ſo ſprach, erhob ſich ploͤtzlich in dem
Gebuͤſch ein raſender Spektakel von Pauken und Trom¬
peten, Hoͤrnern und Poſaunen; Boͤller wurden dazwi¬
ſchen geloͤſt und Vivat gerufen, die kleinen Maͤdchen
tanzten von neuem, und aus allen Straͤuchern kam ein
Kopf uͤber dem andern hervor, als wenn ſie aus der
Erde wuͤchſen. Ich ſprang in dem Geſchwirre und
Geſchleife Ellenhoch von einer Seite zur andern, da
es aber ſchon dunkel wurde, erkannte ich erſt nach und
nach alle die alten Geſichter wieder. Der alte Gaͤrt¬
ner ſchlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren
Maͤnteln muſizirten mitten darunter, neben ihnen fin¬
gerte der Portier wie toll auf ſeinem Fagott. Wie ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="132"/>
welche die verkleidete Flora &#x017F;tu&#x0364;ndlich erwarteten, und<lb/>
mit mehr Dien&#x017F;teifer als Scharf&#x017F;inn Dich fu&#x0364;r das<lb/>
Fra&#x0364;ulein hielten. Selb&#x017F;t hier auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e glaubte<lb/>
man, daß Flora auf dem Fel&#x017F;en wohne, man erkundigte<lb/>
&#x017F;ich, man &#x017F;chrieb an &#x017F;ie &#x2014; ha&#x017F;t Du nicht ein Briefchen<lb/>
erhalten?&#x201C; &#x2014; Bei die&#x017F;en Worten fuhr ich blitz&#x017F;chnell<lb/>
mit dem Zettel aus der Ta&#x017F;che. &#x2014; &#x201E;Al&#x017F;o die&#x017F;er Brief?&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;I&#x017F;t an mich,&#x201C; &#x017F;agte Fra&#x0364;ulein Flora, die bisher auf<lb/>
un&#x017F;re Rede gar nicht Acht zu geben &#x017F;chien, riß mir<lb/>
den Zettel ra&#x017F;ch aus der Hand, u&#x0364;berlas ihn und &#x017F;teckte<lb/>
ihn dann in den Bu&#x017F;en. &#x2014; &#x201E;Und nun,&#x201C; &#x017F;agte Herr<lb/>
Leonhard, &#x201E;mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir &#x017F;chnell in das Schloß, da wartet<lb/>
&#x017F;chon Alles auf uns. Al&#x017F;o zum Schluß, wie &#x017F;ich's von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;teht und einem wohlerzognen Romane ge¬<lb/>
bu&#x0364;hrt: Entdeckung, Reue, Ver&#x017F;o&#x0364;hnung, wir &#x017F;ind alle<lb/>
wieder lu&#x017F;tig bei&#x017F;ammen, und u&#x0364;bermorgen i&#x017F;t Hochzeit!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Da er noch &#x017F;o &#x017F;prach, erhob &#x017F;ich plo&#x0364;tzlich in dem<lb/>
Gebu&#x0364;&#x017F;ch ein ra&#x017F;ender Spektakel von Pauken und Trom¬<lb/>
peten, Ho&#x0364;rnern und Po&#x017F;aunen; Bo&#x0364;ller wurden dazwi¬<lb/>
&#x017F;chen gelo&#x0364;&#x017F;t und Vivat gerufen, die kleinen Ma&#x0364;dchen<lb/>
tanzten von neuem, und aus allen Stra&#x0364;uchern kam ein<lb/>
Kopf u&#x0364;ber dem andern hervor, als wenn &#x017F;ie aus der<lb/>
Erde wu&#x0364;ch&#x017F;en. Ich &#x017F;prang in dem Ge&#x017F;chwirre und<lb/>
Ge&#x017F;chleife Ellenhoch von einer Seite zur andern, da<lb/>
es aber &#x017F;chon dunkel wurde, erkannte ich er&#x017F;t nach und<lb/>
nach alle die alten Ge&#x017F;ichter wieder. Der alte Ga&#x0364;rt¬<lb/>
ner &#x017F;chlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren<lb/>
Ma&#x0364;nteln mu&#x017F;izirten mitten darunter, neben ihnen fin¬<lb/>
gerte der Portier wie toll auf &#x017F;einem Fagott. Wie ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0142] welche die verkleidete Flora ſtuͤndlich erwarteten, und mit mehr Dienſteifer als Scharfſinn Dich fuͤr das Fraͤulein hielten. Selbſt hier auf dem Schloſſe glaubte man, daß Flora auf dem Felſen wohne, man erkundigte ſich, man ſchrieb an ſie — haſt Du nicht ein Briefchen erhalten?“ — Bei dieſen Worten fuhr ich blitzſchnell mit dem Zettel aus der Taſche. — „Alſo dieſer Brief?“ — „Iſt an mich,“ ſagte Fraͤulein Flora, die bisher auf unſre Rede gar nicht Acht zu geben ſchien, riß mir den Zettel raſch aus der Hand, uͤberlas ihn und ſteckte ihn dann in den Buſen. — „Und nun,“ ſagte Herr Leonhard, „muͤſſen wir ſchnell in das Schloß, da wartet ſchon Alles auf uns. Alſo zum Schluß, wie ſich's von ſelbſt verſteht und einem wohlerzognen Romane ge¬ buͤhrt: Entdeckung, Reue, Verſoͤhnung, wir ſind alle wieder luſtig beiſammen, und uͤbermorgen iſt Hochzeit!“ Da er noch ſo ſprach, erhob ſich ploͤtzlich in dem Gebuͤſch ein raſender Spektakel von Pauken und Trom¬ peten, Hoͤrnern und Poſaunen; Boͤller wurden dazwi¬ ſchen geloͤſt und Vivat gerufen, die kleinen Maͤdchen tanzten von neuem, und aus allen Straͤuchern kam ein Kopf uͤber dem andern hervor, als wenn ſie aus der Erde wuͤchſen. Ich ſprang in dem Geſchwirre und Geſchleife Ellenhoch von einer Seite zur andern, da es aber ſchon dunkel wurde, erkannte ich erſt nach und nach alle die alten Geſichter wieder. Der alte Gaͤrt¬ ner ſchlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren Maͤnteln muſizirten mitten darunter, neben ihnen fin¬ gerte der Portier wie toll auf ſeinem Fagott. Wie ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/142
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/142>, abgerufen am 11.05.2024.