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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

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andern Seite des Schiffes saß, und den sie gleich für einen
Geistlichen hielten. Er hatte ein Brevier vor sich, in
welchem er las, dazwischen aber oft in die schöne Gegend
von dem Buche aufsah, dessen Goldschnitt und die vie¬
len dareingelegten bunten Heiligenbilder prächtig im
Morgenschein blitzten. Dabei bemerkte er auch sehr
gut, was auf dem Schiffe vorging, und erkannte bald
die Vögel an ihren Federn; denn es dauerte nicht lange,
so redete er einen von den Studenten lateinisch an, wo¬
rauf alle drei heran traten, die Hüte vor ihm abnah¬
men, und ihm wieder lateinisch antworteten.

Ich aber hatte mich unterdeß ganz vorn auf die
Spitze des Schiffes gesetzt, ließ vergnügt meine Beine
über dem Wasser herunter baumeln, und blickte, wäh¬
rend das Schiff so fort flog und die Wellen unter mir
rauschten und schäumten, immerfort in die blaue Ferne,
wie da ein Thurm und ein Schloß nach dem andern
aus dem Ufergrün hervorkam, wuchs und wuchs, und
endlich hinter uns wieder verschwand. Wenn ich nur
heute Flügel hätte! dachte ich, und zog endlich vor
Ungeduld meine liebe Violine hervor, und spielte alle
meine ältesten Stücke durch, die ich noch zu Hause und
auf dem Schloß der schönen Frau gelernt hatte.

Auf einmal klopfte mir Jemand von hinten auf
die Achsel. Es war der geistliche Herr, der unterdeß
sein Buch weggelegt, und mir schon ein Weilchen zuge¬
hört hatte. "Ey," sagte er lachend zu mir, "ey, ey,
Herr Ludi magister, Essen und Trinken vergißt er."
Er hieß mich darauf meine Geige einstecken, um einen

andern Seite des Schiffes ſaß, und den ſie gleich fuͤr einen
Geiſtlichen hielten. Er hatte ein Brevier vor ſich, in
welchem er las, dazwiſchen aber oft in die ſchoͤne Gegend
von dem Buche aufſah, deſſen Goldſchnitt und die vie¬
len dareingelegten bunten Heiligenbilder praͤchtig im
Morgenſchein blitzten. Dabei bemerkte er auch ſehr
gut, was auf dem Schiffe vorging, und erkannte bald
die Voͤgel an ihren Federn; denn es dauerte nicht lange,
ſo redete er einen von den Studenten lateiniſch an, wo¬
rauf alle drei heran traten, die Huͤte vor ihm abnah¬
men, und ihm wieder lateiniſch antworteten.

Ich aber hatte mich unterdeß ganz vorn auf die
Spitze des Schiffes geſetzt, ließ vergnuͤgt meine Beine
uͤber dem Waſſer herunter baumeln, und blickte, waͤh¬
rend das Schiff ſo fort flog und die Wellen unter mir
rauſchten und ſchaͤumten, immerfort in die blaue Ferne,
wie da ein Thurm und ein Schloß nach dem andern
aus dem Ufergruͤn hervorkam, wuchs und wuchs, und
endlich hinter uns wieder verſchwand. Wenn ich nur
heute Fluͤgel haͤtte! dachte ich, und zog endlich vor
Ungeduld meine liebe Violine hervor, und ſpielte alle
meine aͤlteſten Stuͤcke durch, die ich noch zu Hauſe und
auf dem Schloß der ſchoͤnen Frau gelernt hatte.

Auf einmal klopfte mir Jemand von hinten auf
die Achſel. Es war der geiſtliche Herr, der unterdeß
ſein Buch weggelegt, und mir ſchon ein Weilchen zuge¬
hoͤrt hatte. „Ey,“ ſagte er lachend zu mir, „ey, ey,
Herr Ludi magister, Eſſen und Trinken vergißt er.“
Er hieß mich darauf meine Geige einſtecken, um einen

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[118/0128] andern Seite des Schiffes ſaß, und den ſie gleich fuͤr einen Geiſtlichen hielten. Er hatte ein Brevier vor ſich, in welchem er las, dazwiſchen aber oft in die ſchoͤne Gegend von dem Buche aufſah, deſſen Goldſchnitt und die vie¬ len dareingelegten bunten Heiligenbilder praͤchtig im Morgenſchein blitzten. Dabei bemerkte er auch ſehr gut, was auf dem Schiffe vorging, und erkannte bald die Voͤgel an ihren Federn; denn es dauerte nicht lange, ſo redete er einen von den Studenten lateiniſch an, wo¬ rauf alle drei heran traten, die Huͤte vor ihm abnah¬ men, und ihm wieder lateiniſch antworteten. Ich aber hatte mich unterdeß ganz vorn auf die Spitze des Schiffes geſetzt, ließ vergnuͤgt meine Beine uͤber dem Waſſer herunter baumeln, und blickte, waͤh¬ rend das Schiff ſo fort flog und die Wellen unter mir rauſchten und ſchaͤumten, immerfort in die blaue Ferne, wie da ein Thurm und ein Schloß nach dem andern aus dem Ufergruͤn hervorkam, wuchs und wuchs, und endlich hinter uns wieder verſchwand. Wenn ich nur heute Fluͤgel haͤtte! dachte ich, und zog endlich vor Ungeduld meine liebe Violine hervor, und ſpielte alle meine aͤlteſten Stuͤcke durch, die ich noch zu Hauſe und auf dem Schloß der ſchoͤnen Frau gelernt hatte. Auf einmal klopfte mir Jemand von hinten auf die Achſel. Es war der geiſtliche Herr, der unterdeß ſein Buch weggelegt, und mir ſchon ein Weilchen zuge¬ hoͤrt hatte. „Ey,“ ſagte er lachend zu mir, „ey, ey, Herr Ludi magister, Eſſen und Trinken vergißt er.“ Er hieß mich darauf meine Geige einſtecken, um einen

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/128>, abgerufen am 11.05.2024.