Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

muß sich zu helfen wissen. Aurora musis amica, das
heißt zu deutsch: mit vielem frühstücken sollst Du Dir
nicht die Zeit verderben. Aber wenn dann die Mittags¬
glocken von Thurm zu Thurm und von Berg zu Berg
über die Stadt gehen, und nun die Schüler auf ein¬
mal mit großem Geschrei aus dem alten finstern Kol¬
legium heraus brechen und im Sonnenscheine durch
die Gaßen schwärmen -- da begeben wir uns bei den
Kapuzinern zum Pater Küchenmeister und finden un¬
sern gedeckten Tisch, und ist er auch nicht gedeckt, so
sieht doch für jeden ein voller Topf darauf, da fragen
wir nicht viel darnach und essen, und perfektioniren
uns dabei noch im Lateinischsprechen. Sieht der Herr,
so studiren wir von einem Tage zum andern fort.
Und wenn dann endlich die Vakanz kommt, und die
Andern fahren und reiten zu ihren Aeltern fort, da
wandern wir mit unsern Instrumenten unter'm Man¬
tel durch die Gaßen zum Thore hinaus, und die ganze
Welt steht uns offen."

Ich weiß nicht -- wie er so erzählte -- ging es mir
recht durch's Herz, daß so gelehrte Leute so ganz ver¬
lassen seyn sollten auf der Welt. Ich dachte dabei an
mich, wie es mir eigentlich selber nicht anders ginge,
und die Thränen traten mir in die Augen. -- Der
Waldhornist sah mich groß an. "Das thut gar nichts,"
fuhr er wieder weiter fort, "ich möchte gar nicht so
reisen: Pferde und Kaffee und frischüberzogene Betten,
und Nachtmützen und Stiefelknecht vorausbestellt. Das
ist just das Schönste, wenn wir so frühmorgens her¬

H

muß ſich zu helfen wiſſen. Aurora musis amica, das
heißt zu deutſch: mit vielem fruͤhſtuͤcken ſollſt Du Dir
nicht die Zeit verderben. Aber wenn dann die Mittags¬
glocken von Thurm zu Thurm und von Berg zu Berg
uͤber die Stadt gehen, und nun die Schuͤler auf ein¬
mal mit großem Geſchrei aus dem alten finſtern Kol¬
legium heraus brechen und im Sonnenſcheine durch
die Gaßen ſchwaͤrmen — da begeben wir uns bei den
Kapuzinern zum Pater Kuͤchenmeiſter und finden un¬
ſern gedeckten Tiſch, und iſt er auch nicht gedeckt, ſo
ſieht doch fuͤr jeden ein voller Topf darauf, da fragen
wir nicht viel darnach und eſſen, und perfektioniren
uns dabei noch im Lateiniſchſprechen. Sieht der Herr,
ſo ſtudiren wir von einem Tage zum andern fort.
Und wenn dann endlich die Vakanz kommt, und die
Andern fahren und reiten zu ihren Aeltern fort, da
wandern wir mit unſern Inſtrumenten unter'm Man¬
tel durch die Gaßen zum Thore hinaus, und die ganze
Welt ſteht uns offen.“

Ich weiß nicht — wie er ſo erzaͤhlte — ging es mir
recht durch's Herz, daß ſo gelehrte Leute ſo ganz ver¬
laſſen ſeyn ſollten auf der Welt. Ich dachte dabei an
mich, wie es mir eigentlich ſelber nicht anders ginge,
und die Thraͤnen traten mir in die Augen. — Der
Waldhorniſt ſah mich groß an. „Das thut gar nichts,“
fuhr er wieder weiter fort, „ich moͤchte gar nicht ſo
reiſen: Pferde und Kaffee und friſchuͤberzogene Betten,
und Nachtmuͤtzen und Stiefelknecht vorausbeſtellt. Das
iſt juſt das Schoͤnſte, wenn wir ſo fruͤhmorgens her¬

H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0123" n="113"/>
muß &#x017F;ich zu helfen wi&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#aq">Aurora musis amica</hi>, das<lb/>
heißt zu deut&#x017F;ch: mit vielem fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;cken &#x017F;oll&#x017F;t Du Dir<lb/>
nicht die Zeit verderben. Aber wenn dann die Mittags¬<lb/>
glocken von Thurm zu Thurm und von Berg zu Berg<lb/>
u&#x0364;ber die Stadt gehen, und nun die Schu&#x0364;ler auf ein¬<lb/>
mal mit großem Ge&#x017F;chrei aus dem alten fin&#x017F;tern Kol¬<lb/>
legium heraus brechen und im Sonnen&#x017F;cheine durch<lb/>
die Gaßen &#x017F;chwa&#x0364;rmen &#x2014; da begeben wir uns bei den<lb/>
Kapuzinern zum Pater Ku&#x0364;chenmei&#x017F;ter und finden un¬<lb/>
&#x017F;ern gedeckten Ti&#x017F;ch, und i&#x017F;t er auch nicht gedeckt, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ieht doch fu&#x0364;r jeden ein voller Topf darauf, da fragen<lb/>
wir nicht viel darnach und e&#x017F;&#x017F;en, und perfektioniren<lb/>
uns dabei noch im Lateini&#x017F;ch&#x017F;prechen. Sieht der Herr,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tudiren wir von einem Tage zum andern fort.<lb/>
Und wenn dann endlich die Vakanz kommt, und die<lb/>
Andern fahren und reiten zu ihren Aeltern fort, da<lb/>
wandern wir mit un&#x017F;ern In&#x017F;trumenten unter'm Man¬<lb/>
tel durch die Gaßen zum Thore hinaus, und die ganze<lb/>
Welt &#x017F;teht uns offen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich weiß nicht &#x2014; wie er &#x017F;o erza&#x0364;hlte &#x2014; ging es mir<lb/>
recht durch's Herz, daß &#x017F;o gelehrte Leute &#x017F;o ganz ver¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn &#x017F;ollten auf der Welt. Ich dachte dabei an<lb/>
mich, wie es mir eigentlich &#x017F;elber nicht anders ginge,<lb/>
und die Thra&#x0364;nen traten mir in die Augen. &#x2014; Der<lb/>
Waldhorni&#x017F;t &#x017F;ah mich groß an. &#x201E;Das thut gar nichts,&#x201C;<lb/>
fuhr er wieder weiter fort, &#x201E;ich mo&#x0364;chte gar nicht &#x017F;o<lb/>
rei&#x017F;en: Pferde und Kaffee und fri&#x017F;chu&#x0364;berzogene Betten,<lb/>
und Nachtmu&#x0364;tzen und <choice><sic>Siefelknecht</sic><corr>Stiefelknecht</corr></choice> vorausbe&#x017F;tellt. Das<lb/>
i&#x017F;t ju&#x017F;t das Scho&#x0364;n&#x017F;te, wenn wir &#x017F;o fru&#x0364;hmorgens her¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0123] muß ſich zu helfen wiſſen. Aurora musis amica, das heißt zu deutſch: mit vielem fruͤhſtuͤcken ſollſt Du Dir nicht die Zeit verderben. Aber wenn dann die Mittags¬ glocken von Thurm zu Thurm und von Berg zu Berg uͤber die Stadt gehen, und nun die Schuͤler auf ein¬ mal mit großem Geſchrei aus dem alten finſtern Kol¬ legium heraus brechen und im Sonnenſcheine durch die Gaßen ſchwaͤrmen — da begeben wir uns bei den Kapuzinern zum Pater Kuͤchenmeiſter und finden un¬ ſern gedeckten Tiſch, und iſt er auch nicht gedeckt, ſo ſieht doch fuͤr jeden ein voller Topf darauf, da fragen wir nicht viel darnach und eſſen, und perfektioniren uns dabei noch im Lateiniſchſprechen. Sieht der Herr, ſo ſtudiren wir von einem Tage zum andern fort. Und wenn dann endlich die Vakanz kommt, und die Andern fahren und reiten zu ihren Aeltern fort, da wandern wir mit unſern Inſtrumenten unter'm Man¬ tel durch die Gaßen zum Thore hinaus, und die ganze Welt ſteht uns offen.“ Ich weiß nicht — wie er ſo erzaͤhlte — ging es mir recht durch's Herz, daß ſo gelehrte Leute ſo ganz ver¬ laſſen ſeyn ſollten auf der Welt. Ich dachte dabei an mich, wie es mir eigentlich ſelber nicht anders ginge, und die Thraͤnen traten mir in die Augen. — Der Waldhorniſt ſah mich groß an. „Das thut gar nichts,“ fuhr er wieder weiter fort, „ich moͤchte gar nicht ſo reiſen: Pferde und Kaffee und friſchuͤberzogene Betten, und Nachtmuͤtzen und Stiefelknecht vorausbeſtellt. Das iſt juſt das Schoͤnſte, wenn wir ſo fruͤhmorgens her¬ H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/123
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/123>, abgerufen am 24.11.2024.