schlanken Reh im schönen grünen Wald, wenn er frisch vom Herzen wegliebte, anstatt den Talar von Melancholie, Eifersucht und anderen hergebrachten Lie¬ bes-Tücken durch alle Paradiese jämmerlich hinter sich nachzuschleppen!
Als er in den Garten zurückkam, bemerkte er auf der Linde vor dem Hause zwei zierlich beschuhete Fü߬ chen zwischen den Zweigen. Es war Florentine; sie saß im Baume, mit den Füßchen baumelnd, während sie Waltern nachschaute, der sich so eben in der Däm¬ merung zwischen Wiesen und Kornfeldern verlor. Das heitere Mädchen schien in ihrer Unbefangenheit von seinem Mißmuthe gar nichts zu ahnen.
Fortunat aber ging allein und unruhig durch den Garten. Ich werde doch kein Narr seyn und mich verlieben? sagte er zu sich selbst. Und doch bin ich auf dem nächsten Wege dazu. Und hinter mir lang¬ sam und feierlich der abgemagerte Geist des sich selbst erschossenen Walters, und vor mir ein Zug von Tan¬ ten und Basen, und gute Wirthschaft, und Kinderge¬ schrei, und ein Haus machen --
Der Angstschweiß trat ihm ordentlich bei diesen Gedanken vor die Stirn. Er rannte eiligst nach dem Hause zurück und eröffnete dort ohne weiteres der er¬ staunten Familie, wie er zwar heute gerade keine Briefe aus der Stadt bekommen habe, aber eigentlich ebenfalls schleunigst fortreisen müsse; daß er daher für
ſchlanken Reh im ſchoͤnen gruͤnen Wald, wenn er friſch vom Herzen wegliebte, anſtatt den Talar von Melancholie, Eiferſucht und anderen hergebrachten Lie¬ bes-Tuͤcken durch alle Paradieſe jaͤmmerlich hinter ſich nachzuſchleppen!
Als er in den Garten zuruͤckkam, bemerkte er auf der Linde vor dem Hauſe zwei zierlich beſchuhete Fuͤ߬ chen zwiſchen den Zweigen. Es war Florentine; ſie ſaß im Baume, mit den Fuͤßchen baumelnd, waͤhrend ſie Waltern nachſchaute, der ſich ſo eben in der Daͤm¬ merung zwiſchen Wieſen und Kornfeldern verlor. Das heitere Maͤdchen ſchien in ihrer Unbefangenheit von ſeinem Mißmuthe gar nichts zu ahnen.
Fortunat aber ging allein und unruhig durch den Garten. Ich werde doch kein Narr ſeyn und mich verlieben? ſagte er zu ſich ſelbſt. Und doch bin ich auf dem naͤchſten Wege dazu. Und hinter mir lang¬ ſam und feierlich der abgemagerte Geiſt des ſich ſelbſt erſchoſſenen Walters, und vor mir ein Zug von Tan¬ ten und Baſen, und gute Wirthſchaft, und Kinderge¬ ſchrei, und ein Haus machen —
Der Angſtſchweiß trat ihm ordentlich bei dieſen Gedanken vor die Stirn. Er rannte eiligſt nach dem Hauſe zuruͤck und eroͤffnete dort ohne weiteres der er¬ ſtaunten Familie, wie er zwar heute gerade keine Briefe aus der Stadt bekommen habe, aber eigentlich ebenfalls ſchleunigſt fortreiſen muͤſſe; daß er daher fuͤr
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ſchlanken Reh im ſchoͤnen gruͤnen Wald, wenn er
friſch vom Herzen wegliebte, anſtatt den Talar von
Melancholie, Eiferſucht und anderen hergebrachten Lie¬
bes-Tuͤcken durch alle Paradieſe jaͤmmerlich hinter ſich
nachzuſchleppen!
Als er in den Garten zuruͤckkam, bemerkte er auf
der Linde vor dem Hauſe zwei zierlich beſchuhete Fuͤ߬
chen zwiſchen den Zweigen. Es war Florentine; ſie
ſaß im Baume, mit den Fuͤßchen baumelnd, waͤhrend
ſie Waltern nachſchaute, der ſich ſo eben in der Daͤm¬
merung zwiſchen Wieſen und Kornfeldern verlor. Das
heitere Maͤdchen ſchien in ihrer Unbefangenheit von
ſeinem Mißmuthe gar nichts zu ahnen.
Fortunat aber ging allein und unruhig durch den
Garten. Ich werde doch kein Narr ſeyn und mich
verlieben? ſagte er zu ſich ſelbſt. Und doch bin ich
auf dem naͤchſten Wege dazu. Und hinter mir lang¬
ſam und feierlich der abgemagerte Geiſt des ſich ſelbſt
erſchoſſenen Walters, und vor mir ein Zug von Tan¬
ten und Baſen, und gute Wirthſchaft, und Kinderge¬
ſchrei, und ein Haus machen —
Der Angſtſchweiß trat ihm ordentlich bei dieſen
Gedanken vor die Stirn. Er rannte eiligſt nach dem
Hauſe zuruͤck und eroͤffnete dort ohne weiteres der er¬
ſtaunten Familie, wie er zwar heute gerade keine
Briefe aus der Stadt bekommen habe, aber eigentlich
ebenfalls ſchleunigſt fortreiſen muͤſſe; daß er daher fuͤr
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/64>, abgerufen am 22.11.2024.
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