Aber es blieb nicht lange so ungestört; ein Zufall, Mißverständniß, oder wie sonst der Mensch des Him¬ mels Führung oder sein eignes Ungeschick benennen mag, stellte unerwartet alles anders auf Hohenstein.
Es war ein schwüler Nachmittag, die Blätter im Garten rührten sich kaum, der Amtmann war auf der Bank vor der Hausthür eingeschlummert, Walter schrieb Briefe im Hause, Fortunat hatte sich mit einem Buche in's Gras gestreckt, und ließ es sich vor der weiten Aussicht gern gefallen, daß die leise Luft ihm das Buch verblätterte. Florentinen wurde ganz wehe in dieser Stille, sie mußte immer etwas zu schaffen haben; so schlich sie sich heimlich nach dem Wald, um für den Abend Erdbeeren zu pflücken, die Walter für sehr gesund hielt, weil er sie gern aß. Fortunat sah sie mit ihrem Körbchen unten aus dem Dorfe gehen, er warf sein Buch weg, und folgte ihr, konnte sie aber im Walde nicht wiederfinden.
Florentine war unterdeß, bald sammelnd, bald naschend, von Strauch zu Strauch geschlendert, und so unvermerkt an die Ruine der gräflichen Stamm¬ burg gekommen. Ueberrascht sah sie in der Einsam¬ keit an den halbzerfallenen Mauern, Thoren und Fen¬ sterbogen empor; steinernes Bildwerk, das von der
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Fünftes Kapitel.
Aber es blieb nicht lange ſo ungeſtoͤrt; ein Zufall, Mißverſtaͤndniß, oder wie ſonst der Menſch des Him¬ mels Fuͤhrung oder ſein eignes Ungeſchick benennen mag, ſtellte unerwartet alles anders auf Hohenſtein.
Es war ein ſchwuͤler Nachmittag, die Blaͤtter im Garten ruͤhrten ſich kaum, der Amtmann war auf der Bank vor der Hausthuͤr eingeſchlummert, Walter ſchrieb Briefe im Hauſe, Fortunat hatte ſich mit einem Buche in's Gras geſtreckt, und ließ es ſich vor der weiten Ausſicht gern gefallen, daß die leiſe Luft ihm das Buch verblaͤtterte. Florentinen wurde ganz wehe in dieſer Stille, ſie mußte immer etwas zu ſchaffen haben; ſo ſchlich ſie ſich heimlich nach dem Wald, um fuͤr den Abend Erdbeeren zu pfluͤcken, die Walter fuͤr ſehr geſund hielt, weil er ſie gern aß. Fortunat ſah ſie mit ihrem Koͤrbchen unten aus dem Dorfe gehen, er warf ſein Buch weg, und folgte ihr, konnte ſie aber im Walde nicht wiederfinden.
Florentine war unterdeß, bald ſammelnd, bald naſchend, von Strauch zu Strauch geſchlendert, und ſo unvermerkt an die Ruine der graͤflichen Stamm¬ burg gekommen. Ueberraſcht ſah ſie in der Einſam¬ keit an den halbzerfallenen Mauern, Thoren und Fen¬ ſterbogen empor; ſteinernes Bildwerk, das von der
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Fünftes Kapitel.
Aber es blieb nicht lange ſo ungeſtoͤrt; ein Zufall,
Mißverſtaͤndniß, oder wie ſonst der Menſch des Him¬
mels Fuͤhrung oder ſein eignes Ungeſchick benennen
mag, ſtellte unerwartet alles anders auf Hohenſtein.
Es war ein ſchwuͤler Nachmittag, die Blaͤtter im
Garten ruͤhrten ſich kaum, der Amtmann war auf der
Bank vor der Hausthuͤr eingeſchlummert, Walter
ſchrieb Briefe im Hauſe, Fortunat hatte ſich mit einem
Buche in's Gras geſtreckt, und ließ es ſich vor der
weiten Ausſicht gern gefallen, daß die leiſe Luft ihm
das Buch verblaͤtterte. Florentinen wurde ganz wehe
in dieſer Stille, ſie mußte immer etwas zu ſchaffen
haben; ſo ſchlich ſie ſich heimlich nach dem Wald, um
fuͤr den Abend Erdbeeren zu pfluͤcken, die Walter fuͤr
ſehr geſund hielt, weil er ſie gern aß. Fortunat ſah
ſie mit ihrem Koͤrbchen unten aus dem Dorfe gehen,
er warf ſein Buch weg, und folgte ihr, konnte ſie aber
im Walde nicht wiederfinden.
Florentine war unterdeß, bald ſammelnd, bald
naſchend, von Strauch zu Strauch geſchlendert, und
ſo unvermerkt an die Ruine der graͤflichen Stamm¬
burg gekommen. Ueberraſcht ſah ſie in der Einſam¬
keit an den halbzerfallenen Mauern, Thoren und Fen¬
ſterbogen empor; ſteinernes Bildwerk, das von der
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/58>, abgerufen am 21.11.2024.
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