Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

waldes fortgingen, zupfte und rückte Fiametta mit
klopfendem Herzen ihr Wämschen zurecht wie ein Vög¬
lein, das sich im Morgenschein die Flügel putzt, und
fing italiänisch zu plaudern an, das klang wie ein
Glöckchen durch die Stille. Fortunat aber gedachte
des schönen Frühlingsmorgens, als er mit Waltern
zum erstenmal hier eingestiegen. Da war alles wieder
so kühl und frisch wie damals. Bald erblickte er seit¬
wärts die duftigen Blumenplätze, den Sitz unter der
Linde, lauter alte Bekannte, nun guckten auch schon
die weißen Schornsteine herüber -- auf einmal stan¬
den sie unter den hohen Bäumen vor dem Hause. Da
lag noch alles in tiefer Ruh, durch das Weinlaub am
Fenster konnte er die untere Stube übersehen, den
bunten Teppich im ungewissen Schimmer und die ver¬
goldeten Rahmen der Bilder gegenüber an der Wand,
die alte Stockuhr schlug drin so eben Vier. Unter
den Bäumen aber stand noch der große runde Tisch
mit den Stühlen umher, wie in der alten Zeit, der
Amtmann hatte seine Pfeife draußen vergessen, auch
Florentinens Guitarre hing wieder über dem Stuhl.
Da überkam Fortunaten unwiderstehlich seine alte
Reise-Lustigkeit, der kluge Plan, Vorsicht, Geheimniß
und alles war vergessen, er ergriff die Guitarre, sprang
auf den Tisch hinauf und sang recht aus Herzens¬
grunde:

22

waldes fortgingen, zupfte und ruͤckte Fiametta mit
klopfendem Herzen ihr Waͤmſchen zurecht wie ein Voͤg¬
lein, das ſich im Morgenſchein die Fluͤgel putzt, und
fing italiaͤniſch zu plaudern an, das klang wie ein
Gloͤckchen durch die Stille. Fortunat aber gedachte
des ſchoͤnen Fruͤhlingsmorgens, als er mit Waltern
zum erſtenmal hier eingeſtiegen. Da war alles wieder
ſo kuͤhl und friſch wie damals. Bald erblickte er ſeit¬
waͤrts die duftigen Blumenplaͤtze, den Sitz unter der
Linde, lauter alte Bekannte, nun guckten auch ſchon
die weißen Schornſteine heruͤber — auf einmal ſtan¬
den ſie unter den hohen Baͤumen vor dem Hauſe. Da
lag noch alles in tiefer Ruh, durch das Weinlaub am
Fenſter konnte er die untere Stube uͤberſehen, den
bunten Teppich im ungewiſſen Schimmer und die ver¬
goldeten Rahmen der Bilder gegenuͤber an der Wand,
die alte Stockuhr ſchlug drin ſo eben Vier. Unter
den Baͤumen aber ſtand noch der große runde Tiſch
mit den Stuͤhlen umher, wie in der alten Zeit, der
Amtmann hatte ſeine Pfeife draußen vergeſſen, auch
Florentinens Guitarre hing wieder uͤber dem Stuhl.
Da uͤberkam Fortunaten unwiderſtehlich ſeine alte
Reiſe-Luſtigkeit, der kluge Plan, Vorſicht, Geheimniß
und alles war vergeſſen, er ergriff die Guitarre, ſprang
auf den Tiſch hinauf und ſang recht aus Herzens¬
grunde:

22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0344" n="337"/>
waldes fortgingen, zupfte und ru&#x0364;ckte Fiametta mit<lb/>
klopfendem Herzen ihr Wa&#x0364;m&#x017F;chen zurecht wie ein Vo&#x0364;<lb/>
lein, das &#x017F;ich im Morgen&#x017F;chein die Flu&#x0364;gel putzt, und<lb/>
fing italia&#x0364;ni&#x017F;ch zu plaudern an, das klang wie ein<lb/>
Glo&#x0364;ckchen durch die Stille. Fortunat aber gedachte<lb/>
des &#x017F;cho&#x0364;nen Fru&#x0364;hlingsmorgens, als er mit Waltern<lb/>
zum er&#x017F;tenmal hier einge&#x017F;tiegen. Da war alles wieder<lb/>
&#x017F;o ku&#x0364;hl und fri&#x017F;ch wie damals. Bald erblickte er &#x017F;eit¬<lb/>
wa&#x0364;rts die duftigen Blumenpla&#x0364;tze, den Sitz unter der<lb/>
Linde, lauter alte Bekannte, nun guckten auch &#x017F;chon<lb/>
die weißen Schorn&#x017F;teine heru&#x0364;ber &#x2014; auf einmal &#x017F;tan¬<lb/>
den &#x017F;ie unter den hohen Ba&#x0364;umen vor dem Hau&#x017F;e. Da<lb/>
lag noch alles in tiefer Ruh, durch das Weinlaub am<lb/>
Fen&#x017F;ter konnte er die untere Stube u&#x0364;ber&#x017F;ehen, den<lb/>
bunten Teppich im ungewi&#x017F;&#x017F;en Schimmer und die ver¬<lb/>
goldeten Rahmen der Bilder gegenu&#x0364;ber an der Wand,<lb/>
die alte Stockuhr &#x017F;chlug drin &#x017F;o eben Vier. Unter<lb/>
den Ba&#x0364;umen aber &#x017F;tand noch der große runde Ti&#x017F;ch<lb/>
mit den Stu&#x0364;hlen umher, wie in der alten Zeit, der<lb/>
Amtmann hatte &#x017F;eine Pfeife draußen verge&#x017F;&#x017F;en, auch<lb/>
Florentinens Guitarre hing wieder u&#x0364;ber dem Stuhl.<lb/>
Da u&#x0364;berkam Fortunaten unwider&#x017F;tehlich &#x017F;eine alte<lb/>
Rei&#x017F;e-Lu&#x017F;tigkeit, der kluge Plan, Vor&#x017F;icht, Geheimniß<lb/>
und alles war verge&#x017F;&#x017F;en, er ergriff die Guitarre, &#x017F;prang<lb/>
auf den Ti&#x017F;ch hinauf und &#x017F;ang recht aus Herzens¬<lb/>
grunde:</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">22<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0344] waldes fortgingen, zupfte und ruͤckte Fiametta mit klopfendem Herzen ihr Waͤmſchen zurecht wie ein Voͤg¬ lein, das ſich im Morgenſchein die Fluͤgel putzt, und fing italiaͤniſch zu plaudern an, das klang wie ein Gloͤckchen durch die Stille. Fortunat aber gedachte des ſchoͤnen Fruͤhlingsmorgens, als er mit Waltern zum erſtenmal hier eingeſtiegen. Da war alles wieder ſo kuͤhl und friſch wie damals. Bald erblickte er ſeit¬ waͤrts die duftigen Blumenplaͤtze, den Sitz unter der Linde, lauter alte Bekannte, nun guckten auch ſchon die weißen Schornſteine heruͤber — auf einmal ſtan¬ den ſie unter den hohen Baͤumen vor dem Hauſe. Da lag noch alles in tiefer Ruh, durch das Weinlaub am Fenſter konnte er die untere Stube uͤberſehen, den bunten Teppich im ungewiſſen Schimmer und die ver¬ goldeten Rahmen der Bilder gegenuͤber an der Wand, die alte Stockuhr ſchlug drin ſo eben Vier. Unter den Baͤumen aber ſtand noch der große runde Tiſch mit den Stuͤhlen umher, wie in der alten Zeit, der Amtmann hatte ſeine Pfeife draußen vergeſſen, auch Florentinens Guitarre hing wieder uͤber dem Stuhl. Da uͤberkam Fortunaten unwiderſtehlich ſeine alte Reiſe-Luſtigkeit, der kluge Plan, Vorſicht, Geheimniß und alles war vergeſſen, er ergriff die Guitarre, ſprang auf den Tiſch hinauf und ſang recht aus Herzens¬ grunde: 22

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/344
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/344>, abgerufen am 18.05.2024.