kanntes junges Mädchen sey vor langer Zeit einmal in's Haus gekommen und habe nach ihm gefragt. -- Da dämmerte ihm allmählig alles wieder auf. Kam das Mädchen nicht aus der Berg-Vorstadt? fragte er, und beschrieb ausführlich Schloß und Garten. Aber die Alte schüttelte den Kopf, der Palast, sagte sie, ist ja schon seit vielen Jahren unbewohnt -- sie glaubte, er phantasire wieder. Otto fuhr mit der Hand über seine Stirn, er war wie im Traume.
Eines Abends aber, als die Alte ausgegangen war, hatte er sich rasch angekleidet und ging heimlich die Treppe hinab, über die wohlbekannten Gassen und Plätze in die Vorstadt hinaus. Die Abendsonne fun¬ kelte lustig durch die Straße, Kinder spielten vor den Thoren, die Mädchen plauderten an den Brunnen und Lerchen hingen jubelnd hoch im röthlichen Duft, er taumelte, wie berauscht, in der ungewohnten Luft. So kam er an den Garten der Geliebten, das Pförtchen war zu, aber er hatte den Schlüssel noch seit dem letz¬ ten Gange in der Rocktasche. Er schloß hastig auf und trat mit klopfendem Herzen hinein. Unterdeß war die Sonne untergegangen, es war schon tiefes Abend¬ roth. In der wunderbaren Beleuchtung kam ihm al¬ les wie verwandelt vor; die Gänge, die er bisher nur bei Nacht flüchtig gesehen, schienen wüst und verwil¬ dert, und mit Schrecken fielen ihm die Worte der Al¬ ten wieder ein, als er endlich den Palast erblickte, denn
kanntes junges Maͤdchen ſey vor langer Zeit einmal in's Haus gekommen und habe nach ihm gefragt. — Da daͤmmerte ihm allmaͤhlig alles wieder auf. Kam das Maͤdchen nicht aus der Berg-Vorſtadt? fragte er, und beſchrieb ausfuͤhrlich Schloß und Garten. Aber die Alte ſchuͤttelte den Kopf, der Palaſt, ſagte ſie, iſt ja ſchon ſeit vielen Jahren unbewohnt — ſie glaubte, er phantaſire wieder. Otto fuhr mit der Hand uͤber ſeine Stirn, er war wie im Traume.
Eines Abends aber, als die Alte ausgegangen war, hatte er ſich raſch angekleidet und ging heimlich die Treppe hinab, uͤber die wohlbekannten Gaſſen und Plaͤtze in die Vorſtadt hinaus. Die Abendſonne fun¬ kelte luſtig durch die Straße, Kinder ſpielten vor den Thoren, die Maͤdchen plauderten an den Brunnen und Lerchen hingen jubelnd hoch im roͤthlichen Duft, er taumelte, wie berauſcht, in der ungewohnten Luft. So kam er an den Garten der Geliebten, das Pfoͤrtchen war zu, aber er hatte den Schluͤſſel noch ſeit dem letz¬ ten Gange in der Rocktaſche. Er ſchloß haſtig auf und trat mit klopfendem Herzen hinein. Unterdeß war die Sonne untergegangen, es war ſchon tiefes Abend¬ roth. In der wunderbaren Beleuchtung kam ihm al¬ les wie verwandelt vor; die Gaͤnge, die er bisher nur bei Nacht fluͤchtig geſehen, ſchienen wuͤſt und verwil¬ dert, und mit Schrecken fielen ihm die Worte der Al¬ ten wieder ein, als er endlich den Palaſt erblickte, denn
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kanntes junges Maͤdchen ſey vor langer Zeit einmal
in's Haus gekommen und habe nach ihm gefragt. —
Da daͤmmerte ihm allmaͤhlig alles wieder auf. Kam
das Maͤdchen nicht aus der Berg-Vorſtadt? fragte er,
und beſchrieb ausfuͤhrlich Schloß und Garten. Aber
die Alte ſchuͤttelte den Kopf, der Palaſt, ſagte ſie, iſt
ja ſchon ſeit vielen Jahren unbewohnt — ſie glaubte,
er phantaſire wieder. Otto fuhr mit der Hand uͤber
ſeine Stirn, er war wie im Traume.
Eines Abends aber, als die Alte ausgegangen war,
hatte er ſich raſch angekleidet und ging heimlich die
Treppe hinab, uͤber die wohlbekannten Gaſſen und
Plaͤtze in die Vorſtadt hinaus. Die Abendſonne fun¬
kelte luſtig durch die Straße, Kinder ſpielten vor den
Thoren, die Maͤdchen plauderten an den Brunnen und
Lerchen hingen jubelnd hoch im roͤthlichen Duft, er
taumelte, wie berauſcht, in der ungewohnten Luft. So
kam er an den Garten der Geliebten, das Pfoͤrtchen
war zu, aber er hatte den Schluͤſſel noch ſeit dem letz¬
ten Gange in der Rocktaſche. Er ſchloß haſtig auf
und trat mit klopfendem Herzen hinein. Unterdeß war
die Sonne untergegangen, es war ſchon tiefes Abend¬
roth. In der wunderbaren Beleuchtung kam ihm al¬
les wie verwandelt vor; die Gaͤnge, die er bisher nur
bei Nacht fluͤchtig geſehen, ſchienen wuͤſt und verwil¬
dert, und mit Schrecken fielen ihm die Worte der Al¬
ten wieder ein, als er endlich den Palaſt erblickte, denn
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/323>, abgerufen am 25.11.2024.
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