Was singst du da so lustig? fragte Otto. -- Ich pink' nur ein wenig Feuer an im Dunkeln, entgegnete das Mädchen, wollen Sie sich vielleicht ein Pfeifchen dran anstecken und noch etwas lesen von den zwölf schlafen¬ den Jungfrauen? -- Sie plauderte muthwillig noch vielerlei in den Wind hinein -- so gingen sie rasch durch den stillen Garten. Otto blickte im Vorbeigehn noch einmal nach dem Weiher hinüber, dort ruhte die Statue wieder auf ihrem Marmorpfühl, ein einge¬ schlummerter Schwan fuhr bei ihren Tritten mit dem Kopf aus den Flügeldecken hervor, sah sie schlaftrunken an und träumte dann weiter. -- Gute Nacht, Herr Morpheus! sagte das Mädchen an der Gartenthür mit einem schnippischen Knix und schob ihn lachend hinaus.
Er hörte das Pförtchen hinter sich zuklappen, es war ihm wunderbar, so plötzlich allein unter dem stil¬ len weiten Sternenhimmel. In der ganzen Gegend regte sich kein Laut mehr, nur die Uhren schlugen fern in der Stadt, es war lange Mitternacht vorüber.
Seit dieser Zeit war es um ihn geschehn, die schönen Mondnächte beleuchteten noch oft seinen ein¬ samen Gang zu dem stillen Zaubergarten. Das ge¬ heimnißvolle Grauen in der Lust verlockte ihn nur noch mehr, er mochte nicht nach dem Namen der schönen Frau fragen, ja er hütete sich, ihr Revier bei Tage zu betreten -- war sie ja doch sein mit Leib und
Was ſingſt du da ſo luſtig? fragte Otto. — Ich pink' nur ein wenig Feuer an im Dunkeln, entgegnete das Maͤdchen, wollen Sie ſich vielleicht ein Pfeifchen dran anſtecken und noch etwas leſen von den zwoͤlf ſchlafen¬ den Jungfrauen? — Sie plauderte muthwillig noch vielerlei in den Wind hinein — ſo gingen ſie raſch durch den ſtillen Garten. Otto blickte im Vorbeigehn noch einmal nach dem Weiher hinuͤber, dort ruhte die Statue wieder auf ihrem Marmorpfuͤhl, ein einge¬ ſchlummerter Schwan fuhr bei ihren Tritten mit dem Kopf aus den Fluͤgeldecken hervor, ſah ſie ſchlaftrunken an und traͤumte dann weiter. — Gute Nacht, Herr Morpheus! ſagte das Maͤdchen an der Gartenthuͤr mit einem ſchnippiſchen Knix und ſchob ihn lachend hinaus.
Er hoͤrte das Pfoͤrtchen hinter ſich zuklappen, es war ihm wunderbar, ſo ploͤtzlich allein unter dem ſtil¬ len weiten Sternenhimmel. In der ganzen Gegend regte ſich kein Laut mehr, nur die Uhren ſchlugen fern in der Stadt, es war lange Mitternacht voruͤber.
Seit dieſer Zeit war es um ihn geſchehn, die ſchoͤnen Mondnaͤchte beleuchteten noch oft ſeinen ein¬ ſamen Gang zu dem ſtillen Zaubergarten. Das ge¬ heimnißvolle Grauen in der Luſt verlockte ihn nur noch mehr, er mochte nicht nach dem Namen der ſchoͤnen Frau fragen, ja er huͤtete ſich, ihr Revier bei Tage zu betreten — war ſie ja doch ſein mit Leib und
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Was ſingſt du da ſo luſtig? fragte Otto. — Ich pink'
nur ein wenig Feuer an im Dunkeln, entgegnete das
Maͤdchen, wollen Sie ſich vielleicht ein Pfeifchen dran
anſtecken und noch etwas leſen von den zwoͤlf ſchlafen¬
den Jungfrauen? — Sie plauderte muthwillig noch
vielerlei in den Wind hinein — ſo gingen ſie raſch
durch den ſtillen Garten. Otto blickte im Vorbeigehn
noch einmal nach dem Weiher hinuͤber, dort ruhte die
Statue wieder auf ihrem Marmorpfuͤhl, ein einge¬
ſchlummerter Schwan fuhr bei ihren Tritten mit dem
Kopf aus den Fluͤgeldecken hervor, ſah ſie ſchlaftrunken
an und traͤumte dann weiter. — Gute Nacht, Herr
Morpheus! ſagte das Maͤdchen an der Gartenthuͤr
mit einem ſchnippiſchen Knix und ſchob ihn lachend
hinaus.
Er hoͤrte das Pfoͤrtchen hinter ſich zuklappen, es
war ihm wunderbar, ſo ploͤtzlich allein unter dem ſtil¬
len weiten Sternenhimmel. In der ganzen Gegend
regte ſich kein Laut mehr, nur die Uhren ſchlugen fern
in der Stadt, es war lange Mitternacht voruͤber.
Seit dieſer Zeit war es um ihn geſchehn, die
ſchoͤnen Mondnaͤchte beleuchteten noch oft ſeinen ein¬
ſamen Gang zu dem ſtillen Zaubergarten. Das ge¬
heimnißvolle Grauen in der Luſt verlockte ihn nur noch
mehr, er mochte nicht nach dem Namen der ſchoͤnen
Frau fragen, ja er huͤtete ſich, ihr Revier bei Tage
zu betreten — war ſie ja doch ſein mit Leib und
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/321>, abgerufen am 22.11.2024.
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