lauen Nacht, dann plötzlich alles wieder still im engen dunklen Gäßchen, nur die Dachluken klappen im Wind, eine Nachtigall schlägt wehmüthig am Fenster. -- Otto schlenderte in Gedanken immer fort, alte Reise¬ lieder fielen ihm ein, er sang leise vor sich hin, er wußte selbst nicht, was er draußen wollte. Endlich hatte er die Höhe erreicht, je weiter er kam, je stiller und länd¬ licher wurde die Straße, seitwärts schienen sich präch¬ tige Gärten hinabzusenken. Oft blieb er stehn und sah zurück über die Stadt hin, zwischen den vielen verworrenen Lichtern ging das dumpfe Rasseln der Wagen wie ein ferner Sturm, zuweilen brach ein Schwarm verstörter Dohlen aus einem alten Kirchen¬ dach und durchkreiste schreiend die Nacht, eine Spiel¬ uhr vom Thurm sang ihr frommes Lied in der Ein¬ samkeit der Lüfte. Von der andern Seite aber war die Gasse schon offen, ein frischer Hauch wehte her¬ über, er hörte eine Mühle gehn, die er nicht sah, dann Hundegebell von fern und da und dort noch Stimmen im dunklen Feld.
Auf einmal erklang eine Guitarre und einzelne Töne eines wunderschönen Gesangs, träumerisch vom Winde verweht, wie wenn die Nachtluft durch die Saiten einer Harfe geht. Er eilte zu dem Gar¬ ten, woher die Töne kamen, das Pförtchen war nur angelehnt, er trat hinein. Da stutzte er, denn es war als flöge der Schatten einer fliehenden Gestalt heim¬
lauen Nacht, dann ploͤtzlich alles wieder ſtill im engen dunklen Gaͤßchen, nur die Dachluken klappen im Wind, eine Nachtigall ſchlaͤgt wehmuͤthig am Fenſter. — Otto ſchlenderte in Gedanken immer fort, alte Reiſe¬ lieder fielen ihm ein, er ſang leiſe vor ſich hin, er wußte ſelbſt nicht, was er draußen wollte. Endlich hatte er die Hoͤhe erreicht, je weiter er kam, je ſtiller und laͤnd¬ licher wurde die Straße, ſeitwaͤrts ſchienen ſich praͤch¬ tige Gaͤrten hinabzuſenken. Oft blieb er ſtehn und ſah zuruͤck uͤber die Stadt hin, zwiſchen den vielen verworrenen Lichtern ging das dumpfe Raſſeln der Wagen wie ein ferner Sturm, zuweilen brach ein Schwarm verſtoͤrter Dohlen aus einem alten Kirchen¬ dach und durchkreiſte ſchreiend die Nacht, eine Spiel¬ uhr vom Thurm ſang ihr frommes Lied in der Ein¬ ſamkeit der Luͤfte. Von der andern Seite aber war die Gaſſe ſchon offen, ein friſcher Hauch wehte her¬ uͤber, er hoͤrte eine Muͤhle gehn, die er nicht ſah, dann Hundegebell von fern und da und dort noch Stimmen im dunklen Feld.
Auf einmal erklang eine Guitarre und einzelne Toͤne eines wunderſchoͤnen Geſangs, traͤumeriſch vom Winde verweht, wie wenn die Nachtluft durch die Saiten einer Harfe geht. Er eilte zu dem Gar¬ ten, woher die Toͤne kamen, das Pfoͤrtchen war nur angelehnt, er trat hinein. Da ſtutzte er, denn es war als floͤge der Schatten einer fliehenden Geſtalt heim¬
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lauen Nacht, dann ploͤtzlich alles wieder ſtill im engen
dunklen Gaͤßchen, nur die Dachluken klappen im Wind,
eine Nachtigall ſchlaͤgt wehmuͤthig am Fenſter. —
Otto ſchlenderte in Gedanken immer fort, alte Reiſe¬
lieder fielen ihm ein, er ſang leiſe vor ſich hin, er wußte
ſelbſt nicht, was er draußen wollte. Endlich hatte er
die Hoͤhe erreicht, je weiter er kam, je ſtiller und laͤnd¬
licher wurde die Straße, ſeitwaͤrts ſchienen ſich praͤch¬
tige Gaͤrten hinabzuſenken. Oft blieb er ſtehn und
ſah zuruͤck uͤber die Stadt hin, zwiſchen den vielen
verworrenen Lichtern ging das dumpfe Raſſeln der
Wagen wie ein ferner Sturm, zuweilen brach ein
Schwarm verſtoͤrter Dohlen aus einem alten Kirchen¬
dach und durchkreiſte ſchreiend die Nacht, eine Spiel¬
uhr vom Thurm ſang ihr frommes Lied in der Ein¬
ſamkeit der Luͤfte. Von der andern Seite aber war
die Gaſſe ſchon offen, ein friſcher Hauch wehte her¬
uͤber, er hoͤrte eine Muͤhle gehn, die er nicht ſah, dann
Hundegebell von fern und da und dort noch Stimmen
im dunklen Feld.
Auf einmal erklang eine Guitarre und einzelne
Toͤne eines wunderſchoͤnen Geſangs, traͤumeriſch
vom Winde verweht, wie wenn die Nachtluft durch
die Saiten einer Harfe geht. Er eilte zu dem Gar¬
ten, woher die Toͤne kamen, das Pfoͤrtchen war nur
angelehnt, er trat hinein. Da ſtutzte er, denn es war
als floͤge der Schatten einer fliehenden Geſtalt heim¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/316>, abgerufen am 25.11.2024.
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