Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

zwischen den Bäumen entschlüpfen. Außer sich folgt
er nach, er erblickt sie von neuem: Reitkleid, Gürtel
und Hut, wie sie in Spanien getragen, endlich erreicht
er sie, sie wendet sich rasch, mit Grauen sieht er in
die dunklen Augenhöhlen einer Larve.

Er steht wie eingewurzelt vor ihr, während sie
ihn schweigend zu betrachten scheint. -- Du fernes
Wetterleuchten, sagt er endlich ganz verwirrt, ich folge
dir, und wär' es in den Wahnsinn! -- Da erhebt sich
auf einmal tiefer im Garten ein wunderbarer Gesang,
fast ohne Melodie, in wenigen herzzerreißenden Tönen.
Sie schauert, als bräch' der Tag an, ihre schwarzen
Locken ringeln sich von beiden Seiten herab, er sieht
die dunklen Augen aus der Larve funkeln. -- Mor¬
gen! flüstert sie dann kaum hörbar und verschwindet
schnell zwischen den wechselnden Schatten.

Victor aber flieht entsetzt durch den Garten, der
Mondschein wiegt sich träumend auf dem Gebüsch,
seitwärts schwanken Wasserkünste im Wind, wie Feen
in langen, wallenden Schleiern. Plötzlich hört er den
Gesang wieder erschallen. Auf dem steinernen Rande
des Springbrunnens sieht er einen eingeschlummerten
Mann sitzen, ohne Hut, mit dem Haupt vornüber
nickend, der singt im Schlaf. Bei einem flüchtigen
Mondblick glaubt er den bleichen kranken Fürsten zu
erkennen.

So kommt er ganz verstört in die Stadt zurück.

zwiſchen den Baͤumen entſchluͤpfen. Außer ſich folgt
er nach, er erblickt ſie von neuem: Reitkleid, Guͤrtel
und Hut, wie ſie in Spanien getragen, endlich erreicht
er ſie, ſie wendet ſich raſch, mit Grauen ſieht er in
die dunklen Augenhoͤhlen einer Larve.

Er ſteht wie eingewurzelt vor ihr, waͤhrend ſie
ihn ſchweigend zu betrachten ſcheint. — Du fernes
Wetterleuchten, ſagt er endlich ganz verwirrt, ich folge
dir, und waͤr' es in den Wahnſinn! — Da erhebt ſich
auf einmal tiefer im Garten ein wunderbarer Geſang,
faſt ohne Melodie, in wenigen herzzerreißenden Toͤnen.
Sie ſchauert, als braͤch' der Tag an, ihre ſchwarzen
Locken ringeln ſich von beiden Seiten herab, er ſieht
die dunklen Augen aus der Larve funkeln. — Mor¬
gen! fluͤſtert ſie dann kaum hoͤrbar und verſchwindet
ſchnell zwiſchen den wechſelnden Schatten.

Victor aber flieht entſetzt durch den Garten, der
Mondſchein wiegt ſich traͤumend auf dem Gebuͤſch,
ſeitwaͤrts ſchwanken Waſſerkuͤnſte im Wind, wie Feen
in langen, wallenden Schleiern. Ploͤtzlich hoͤrt er den
Geſang wieder erſchallen. Auf dem ſteinernen Rande
des Springbrunnens ſieht er einen eingeſchlummerten
Mann ſitzen, ohne Hut, mit dem Haupt vornuͤber
nickend, der ſingt im Schlaf. Bei einem fluͤchtigen
Mondblick glaubt er den bleichen kranken Fuͤrſten zu
erkennen.

So kommt er ganz verſtoͤrt in die Stadt zuruͤck.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0265" n="258"/>
zwi&#x017F;chen den Ba&#x0364;umen ent&#x017F;chlu&#x0364;pfen. Außer &#x017F;ich folgt<lb/>
er nach, er erblickt &#x017F;ie von neuem: Reitkleid, Gu&#x0364;rtel<lb/>
und Hut, wie &#x017F;ie in Spanien getragen, endlich erreicht<lb/>
er &#x017F;ie, &#x017F;ie wendet &#x017F;ich ra&#x017F;ch, mit Grauen &#x017F;ieht er in<lb/>
die dunklen Augenho&#x0364;hlen einer Larve.</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;teht wie eingewurzelt vor ihr, wa&#x0364;hrend &#x017F;ie<lb/>
ihn &#x017F;chweigend zu betrachten &#x017F;cheint. &#x2014; Du fernes<lb/>
Wetterleuchten, &#x017F;agt er endlich ganz verwirrt, ich folge<lb/>
dir, und wa&#x0364;r' es in den Wahn&#x017F;inn! &#x2014; Da erhebt &#x017F;ich<lb/>
auf einmal tiefer im Garten ein wunderbarer Ge&#x017F;ang,<lb/>
fa&#x017F;t ohne Melodie, in wenigen herzzerreißenden To&#x0364;nen.<lb/>
Sie &#x017F;chauert, als bra&#x0364;ch' der Tag an, ihre &#x017F;chwarzen<lb/>
Locken ringeln &#x017F;ich von beiden Seiten herab, er &#x017F;ieht<lb/>
die dunklen Augen aus der Larve funkeln. &#x2014; Mor¬<lb/>
gen! flu&#x0364;&#x017F;tert &#x017F;ie dann kaum ho&#x0364;rbar und ver&#x017F;chwindet<lb/>
&#x017F;chnell zwi&#x017F;chen den wech&#x017F;elnden Schatten.</p><lb/>
          <p>Victor aber flieht ent&#x017F;etzt durch den Garten, der<lb/>
Mond&#x017F;chein wiegt &#x017F;ich tra&#x0364;umend auf dem Gebu&#x0364;&#x017F;ch,<lb/>
&#x017F;eitwa&#x0364;rts &#x017F;chwanken Wa&#x017F;&#x017F;erku&#x0364;n&#x017F;te im Wind, wie Feen<lb/>
in langen, wallenden Schleiern. Plo&#x0364;tzlich ho&#x0364;rt er den<lb/>
Ge&#x017F;ang wieder er&#x017F;challen. Auf dem &#x017F;teinernen Rande<lb/>
des Springbrunnens &#x017F;ieht er einen einge&#x017F;chlummerten<lb/>
Mann &#x017F;itzen, ohne Hut, mit dem Haupt vornu&#x0364;ber<lb/>
nickend, der &#x017F;ingt im Schlaf. Bei einem flu&#x0364;chtigen<lb/>
Mondblick glaubt er den bleichen kranken Fu&#x0364;r&#x017F;ten zu<lb/>
erkennen.</p><lb/>
          <p>So kommt er ganz ver&#x017F;to&#x0364;rt in die Stadt zuru&#x0364;ck.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0265] zwiſchen den Baͤumen entſchluͤpfen. Außer ſich folgt er nach, er erblickt ſie von neuem: Reitkleid, Guͤrtel und Hut, wie ſie in Spanien getragen, endlich erreicht er ſie, ſie wendet ſich raſch, mit Grauen ſieht er in die dunklen Augenhoͤhlen einer Larve. Er ſteht wie eingewurzelt vor ihr, waͤhrend ſie ihn ſchweigend zu betrachten ſcheint. — Du fernes Wetterleuchten, ſagt er endlich ganz verwirrt, ich folge dir, und waͤr' es in den Wahnſinn! — Da erhebt ſich auf einmal tiefer im Garten ein wunderbarer Geſang, faſt ohne Melodie, in wenigen herzzerreißenden Toͤnen. Sie ſchauert, als braͤch' der Tag an, ihre ſchwarzen Locken ringeln ſich von beiden Seiten herab, er ſieht die dunklen Augen aus der Larve funkeln. — Mor¬ gen! fluͤſtert ſie dann kaum hoͤrbar und verſchwindet ſchnell zwiſchen den wechſelnden Schatten. Victor aber flieht entſetzt durch den Garten, der Mondſchein wiegt ſich traͤumend auf dem Gebuͤſch, ſeitwaͤrts ſchwanken Waſſerkuͤnſte im Wind, wie Feen in langen, wallenden Schleiern. Ploͤtzlich hoͤrt er den Geſang wieder erſchallen. Auf dem ſteinernen Rande des Springbrunnens ſieht er einen eingeſchlummerten Mann ſitzen, ohne Hut, mit dem Haupt vornuͤber nickend, der ſingt im Schlaf. Bei einem fluͤchtigen Mondblick glaubt er den bleichen kranken Fuͤrſten zu erkennen. So kommt er ganz verſtoͤrt in die Stadt zuruͤck.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/265
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/265>, abgerufen am 27.11.2024.