Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

stillen Bäume und unten die alte Stadt. Er trat
mit der Guitarre an's Fenster und sang:

Lieder schweigen jetzt und Klagen,
Nun will ich erst fröhlich sein,
All' mein Leid will ich zerschlagen
Und Erinnern -- gebt mir Wein!
Wie er mir verlockend spiegelt
Sterne und der Erde Lust,
Stillgeschäftig dann entriegelt
All' die Teufel in der Brust,
Erst der Knecht und dann der Meister
Bricht er durch die Nacht herein,
Wildester der Lügengeister,
Ring' mit mir, ich lache dein!
Und den Becher voll Entsetzen
Werf' ich in des Stromes Grund,
Daß sich nimmer dran soll letzen
Wer noch fröhlich und gesund!
Lauten hör' ich ferne klingen,
Lust'ge Bursche ziehn vom Schmaus,
Ständchen sie den Liebsten bringen,
Und das lockt mich mit hinaus.
Mädchen hinter'm blühn'den Baume
Winkt und macht das Fenster auf
Und ich steige wie im Traume
Durch das kleine Haus hinauf.
Schütt'le nur die dunklen Locken
Aus dem schönen Angesicht!
Sieh, ich stehe ganz erschrocken:
Das sind ihre Augen licht,
Locken hatte sie wie deine,
Bleiche Wangen, Lippen roth --
Ach, du bist ja doch nicht meine,
Und mein Lieb ist lange todt!

ſtillen Baͤume und unten die alte Stadt. Er trat
mit der Guitarre an's Fenſter und ſang:

Lieder ſchweigen jetzt und Klagen,
Nun will ich erſt froͤhlich ſein,
All' mein Leid will ich zerſchlagen
Und Erinnern — gebt mir Wein!
Wie er mir verlockend ſpiegelt
Sterne und der Erde Luſt,
Stillgeſchaͤftig dann entriegelt
All' die Teufel in der Bruſt,
Erſt der Knecht und dann der Meiſter
Bricht er durch die Nacht herein,
Wildeſter der Luͤgengeiſter,
Ring' mit mir, ich lache dein!
Und den Becher voll Entſetzen
Werf' ich in des Stromes Grund,
Daß ſich nimmer dran ſoll letzen
Wer noch froͤhlich und geſund!
Lauten hoͤr' ich ferne klingen,
Luſt'ge Burſche ziehn vom Schmaus,
Staͤndchen ſie den Liebſten bringen,
Und das lockt mich mit hinaus.
Maͤdchen hinter'm bluͤhn'den Baume
Winkt und macht das Fenſter auf
Und ich ſteige wie im Traume
Durch das kleine Haus hinauf.
Schuͤtt'le nur die dunklen Locken
Aus dem ſchoͤnen Angeſicht!
Sieh, ich ſtehe ganz erſchrocken:
Das ſind ihre Augen licht,
Locken hatte ſie wie deine,
Bleiche Wangen, Lippen roth —
Ach, du biſt ja doch nicht meine,
Und mein Lieb iſt lange todt!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0257" n="250"/>
&#x017F;tillen Ba&#x0364;ume und unten die alte Stadt. Er trat<lb/>
mit der Guitarre an's Fen&#x017F;ter und &#x017F;ang:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Lieder &#x017F;chweigen jetzt und Klagen,</l><lb/>
              <l>Nun will ich er&#x017F;t fro&#x0364;hlich &#x017F;ein,</l><lb/>
              <l>All' mein Leid will ich zer&#x017F;chlagen</l><lb/>
              <l>Und Erinnern &#x2014; gebt mir Wein!</l><lb/>
              <l>Wie er mir verlockend &#x017F;piegelt</l><lb/>
              <l>Sterne und der Erde Lu&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Stillge&#x017F;cha&#x0364;ftig dann entriegelt</l><lb/>
              <l>All' die Teufel in der Bru&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Er&#x017F;t der Knecht und dann der Mei&#x017F;ter</l><lb/>
              <l>Bricht er durch die Nacht herein,</l><lb/>
              <l>Wilde&#x017F;ter der Lu&#x0364;gengei&#x017F;ter,</l><lb/>
              <l>Ring' mit mir, ich lache dein!</l><lb/>
              <l>Und den Becher voll Ent&#x017F;etzen</l><lb/>
              <l>Werf' ich in des Stromes Grund,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ich nimmer dran &#x017F;oll letzen</l><lb/>
              <l>Wer noch fro&#x0364;hlich und ge&#x017F;und!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Lauten ho&#x0364;r' ich ferne klingen,</l><lb/>
              <l>Lu&#x017F;t'ge Bur&#x017F;che ziehn vom Schmaus,</l><lb/>
              <l>Sta&#x0364;ndchen &#x017F;ie den Lieb&#x017F;ten bringen,</l><lb/>
              <l>Und das lockt mich mit hinaus.</l><lb/>
              <l>Ma&#x0364;dchen hinter'm blu&#x0364;hn'den Baume</l><lb/>
              <l>Winkt und macht das Fen&#x017F;ter auf</l><lb/>
              <l>Und ich &#x017F;teige wie im Traume</l><lb/>
              <l>Durch das kleine Haus hinauf.</l><lb/>
              <l>Schu&#x0364;tt'le nur die dunklen Locken</l><lb/>
              <l>Aus dem &#x017F;cho&#x0364;nen Ange&#x017F;icht!</l><lb/>
              <l>Sieh, ich &#x017F;tehe ganz er&#x017F;chrocken:</l><lb/>
              <l>Das &#x017F;ind <hi rendition="#g">ihre</hi> Augen licht,</l><lb/>
              <l>Locken hatte &#x017F;ie wie deine,</l><lb/>
              <l>Bleiche Wangen, Lippen roth &#x2014;</l><lb/>
              <l>Ach, du bi&#x017F;t ja doch nicht meine,</l><lb/>
              <l>Und <hi rendition="#g">mein</hi> Lieb i&#x017F;t lange todt!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0257] ſtillen Baͤume und unten die alte Stadt. Er trat mit der Guitarre an's Fenſter und ſang: Lieder ſchweigen jetzt und Klagen, Nun will ich erſt froͤhlich ſein, All' mein Leid will ich zerſchlagen Und Erinnern — gebt mir Wein! Wie er mir verlockend ſpiegelt Sterne und der Erde Luſt, Stillgeſchaͤftig dann entriegelt All' die Teufel in der Bruſt, Erſt der Knecht und dann der Meiſter Bricht er durch die Nacht herein, Wildeſter der Luͤgengeiſter, Ring' mit mir, ich lache dein! Und den Becher voll Entſetzen Werf' ich in des Stromes Grund, Daß ſich nimmer dran ſoll letzen Wer noch froͤhlich und geſund! Lauten hoͤr' ich ferne klingen, Luſt'ge Burſche ziehn vom Schmaus, Staͤndchen ſie den Liebſten bringen, Und das lockt mich mit hinaus. Maͤdchen hinter'm bluͤhn'den Baume Winkt und macht das Fenſter auf Und ich ſteige wie im Traume Durch das kleine Haus hinauf. Schuͤtt'le nur die dunklen Locken Aus dem ſchoͤnen Angeſicht! Sieh, ich ſtehe ganz erſchrocken: Das ſind ihre Augen licht, Locken hatte ſie wie deine, Bleiche Wangen, Lippen roth — Ach, du biſt ja doch nicht meine, Und mein Lieb iſt lange todt!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/257
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/257>, abgerufen am 25.11.2024.