flog er über die stillen Felder, durch die leeren Gassen fort zu seiner einsamen Wohnung.
Hier fiel es ihm erst ein, daß er bei den Seini¬ gen hinterlassen, diese Nacht auf dem Lande zubringen zu wollen. Er fand nun die Thüren verschlossen, alles im Hause schien längst zu schlafen. Unmuthig stieg er daher über den Zaun in den Garten, wo er sich so¬ gleich auf die Bank in der Laube hinwarf. Das leise Rauschen in den Zweigen sang gar bald den Ermüde¬ ten ein. Da träumte ihm, er läge in dem schönen Garten zu Hohenstein und sähe die steinernen Götter¬ bilder vor sich im hellen Mondschein auf den Gängen stehen. Es war, als flüsterten sie in der Stille heim¬ lich untereinander, und als er recht hinsah, regte sich das Venusbild und stieg langsam von dem marmor¬ nen Fußgestell herab. Mit Grauen erkannte er seine Annidi, sie kam gerade auf ihn zu, eine Marmorkälte durchdrang plötzlich alle seine Glieder, daß er erschrok¬ ken aufwachte. Als er aber noch ganz verwirrt um¬ herblickte, stand wirklich die weiße Gestalt in der Hausthür, leise flüsternd nach Jemand zurückgewandt, den er nicht sehen konnte. Auf einmal schlug sie einen weiten Mantel auseinander, und Annidi trat aus den Falten hervor. Ein junger, hoher Mann umschlang und küßte sie, dann warf sie ihm lachend den Mantel zu und schlüpfte in's Haus, der Fremde schwang sich
flog er uͤber die ſtillen Felder, durch die leeren Gaſſen fort zu ſeiner einſamen Wohnung.
Hier fiel es ihm erſt ein, daß er bei den Seini¬ gen hinterlaſſen, dieſe Nacht auf dem Lande zubringen zu wollen. Er fand nun die Thuͤren verſchloſſen, alles im Hauſe ſchien laͤngſt zu ſchlafen. Unmuthig ſtieg er daher uͤber den Zaun in den Garten, wo er ſich ſo¬ gleich auf die Bank in der Laube hinwarf. Das leiſe Rauſchen in den Zweigen ſang gar bald den Ermuͤde¬ ten ein. Da traͤumte ihm, er laͤge in dem ſchoͤnen Garten zu Hohenſtein und ſaͤhe die ſteinernen Goͤtter¬ bilder vor ſich im hellen Mondſchein auf den Gaͤngen ſtehen. Es war, als fluͤſterten ſie in der Stille heim¬ lich untereinander, und als er recht hinſah, regte ſich das Venusbild und ſtieg langſam von dem marmor¬ nen Fußgeſtell herab. Mit Grauen erkannte er ſeine Annidi, ſie kam gerade auf ihn zu, eine Marmorkaͤlte durchdrang ploͤtzlich alle ſeine Glieder, daß er erſchrok¬ ken aufwachte. Als er aber noch ganz verwirrt um¬ herblickte, ſtand wirklich die weiße Geſtalt in der Hausthuͤr, leiſe fluͤſternd nach Jemand zuruͤckgewandt, den er nicht ſehen konnte. Auf einmal ſchlug ſie einen weiten Mantel auseinander, und Annidi trat aus den Falten hervor. Ein junger, hoher Mann umſchlang und kuͤßte ſie, dann warf ſie ihm lachend den Mantel zu und ſchluͤpfte in’s Haus, der Fremde ſchwang ſich
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flog er uͤber die ſtillen Felder, durch die leeren Gaſſen
fort zu ſeiner einſamen Wohnung.
Hier fiel es ihm erſt ein, daß er bei den Seini¬
gen hinterlaſſen, dieſe Nacht auf dem Lande zubringen
zu wollen. Er fand nun die Thuͤren verſchloſſen, alles
im Hauſe ſchien laͤngſt zu ſchlafen. Unmuthig ſtieg er
daher uͤber den Zaun in den Garten, wo er ſich ſo¬
gleich auf die Bank in der Laube hinwarf. Das leiſe
Rauſchen in den Zweigen ſang gar bald den Ermuͤde¬
ten ein. Da traͤumte ihm, er laͤge in dem ſchoͤnen
Garten zu Hohenſtein und ſaͤhe die ſteinernen Goͤtter¬
bilder vor ſich im hellen Mondſchein auf den Gaͤngen
ſtehen. Es war, als fluͤſterten ſie in der Stille heim¬
lich untereinander, und als er recht hinſah, regte ſich
das Venusbild und ſtieg langſam von dem marmor¬
nen Fußgeſtell herab. Mit Grauen erkannte er ſeine
Annidi, ſie kam gerade auf ihn zu, eine Marmorkaͤlte
durchdrang ploͤtzlich alle ſeine Glieder, daß er erſchrok¬
ken aufwachte. Als er aber noch ganz verwirrt um¬
herblickte, ſtand wirklich die weiße Geſtalt in der
Hausthuͤr, leiſe fluͤſternd nach Jemand zuruͤckgewandt,
den er nicht ſehen konnte. Auf einmal ſchlug ſie einen
weiten Mantel auseinander, und Annidi trat aus den
Falten hervor. Ein junger, hoher Mann umſchlang
und kuͤßte ſie, dann warf ſie ihm lachend den Mantel
zu und ſchluͤpfte in’s Haus, der Fremde ſchwang ſich
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/244>, abgerufen am 25.11.2024.
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