Lage noch ungewohnt, fortwährend mehr zierlich die¬ nend als mitgenießend erwies, als sie sich nun fröhlich unter der Laube um den Tisch setzten. Auch ihre Eltern gesellten sich jetzt zu ihnen, zu Fortunats heim¬ lichem Unbehagen, den die gewöhnlichen, welschgekniffe¬ nen Gesichter störten. Sie mischten sich öfters unge¬ schickt mit in das Gespräch, redeten viel von guter Wirthschaft und dem nöthigen Fleiße ihres Schwieger¬ sohnes im Büchermachen, und Fortunat konnte wohl bemerken, daß sie ihn selbst als einen Zeitverderber und zweideutigen Kameraden Otto's scheel ansahen. -- Unbekümmert saß und schmauste unterdeß das glück¬ liche Ehepaar, Annidi, auf einem Fußbänkchen mit beiden Armen auf Otto's Knie gestützt und die gebra¬ tenen Kastanien ausschälend, die sie jede zur Hälfte mit einander theilten. Der Mond schimmerte schon durch das Weinlaub, Otto war seligstill, die junge Frau überaus schön, drüben sang der Knabe wieder:
Wer hat dir das Kränzlein genommen?
Fortunaten aber überwältigte mitten in dieser Stille eine unwiderstehliche Wehmuth, als sey Otto nun hier in der Fremde mährchenhaft verzaubert. Es wollte ihm das Herz zersprengen, er schützte ein drin¬ gendes Geschäft vor, ergriff schnell seinen Hut und nahm tief gerührt Abschied von dem Freunde, wie von einem Verstorbenen. Als er zurückblickte, standen Otto
Lage noch ungewohnt, fortwaͤhrend mehr zierlich die¬ nend als mitgenießend erwies, als ſie ſich nun froͤhlich unter der Laube um den Tiſch ſetzten. Auch ihre Eltern geſellten ſich jetzt zu ihnen, zu Fortunats heim¬ lichem Unbehagen, den die gewoͤhnlichen, welſchgekniffe¬ nen Geſichter ſtoͤrten. Sie miſchten ſich oͤfters unge¬ ſchickt mit in das Geſpraͤch, redeten viel von guter Wirthſchaft und dem noͤthigen Fleiße ihres Schwieger¬ ſohnes im Buͤchermachen, und Fortunat konnte wohl bemerken, daß ſie ihn ſelbſt als einen Zeitverderber und zweideutigen Kameraden Otto's ſcheel anſahen. — Unbekuͤmmert ſaß und ſchmauſte unterdeß das gluͤck¬ liche Ehepaar, Annidi, auf einem Fußbaͤnkchen mit beiden Armen auf Otto's Knie geſtuͤtzt und die gebra¬ tenen Kaſtanien ausſchaͤlend, die ſie jede zur Haͤlfte mit einander theilten. Der Mond ſchimmerte ſchon durch das Weinlaub, Otto war ſeligſtill, die junge Frau uͤberaus ſchoͤn, druͤben ſang der Knabe wieder:
Wer hat dir das Kraͤnzlein genommen?
Fortunaten aber uͤberwaͤltigte mitten in dieſer Stille eine unwiderſtehliche Wehmuth, als ſey Otto nun hier in der Fremde maͤhrchenhaft verzaubert. Es wollte ihm das Herz zerſprengen, er ſchuͤtzte ein drin¬ gendes Geſchaͤft vor, ergriff ſchnell ſeinen Hut und nahm tief geruͤhrt Abſchied von dem Freunde, wie von einem Verſtorbenen. Als er zuruͤckblickte, ſtanden Otto
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Lage noch ungewohnt, fortwaͤhrend mehr zierlich die¬
nend als mitgenießend erwies, als ſie ſich nun froͤhlich
unter der Laube um den Tiſch ſetzten. Auch ihre
Eltern geſellten ſich jetzt zu ihnen, zu Fortunats heim¬
lichem Unbehagen, den die gewoͤhnlichen, welſchgekniffe¬
nen Geſichter ſtoͤrten. Sie miſchten ſich oͤfters unge¬
ſchickt mit in das Geſpraͤch, redeten viel von guter
Wirthſchaft und dem noͤthigen Fleiße ihres Schwieger¬
ſohnes im Buͤchermachen, und Fortunat konnte wohl
bemerken, daß ſie ihn ſelbſt als einen Zeitverderber
und zweideutigen Kameraden Otto's ſcheel anſahen. —
Unbekuͤmmert ſaß und ſchmauſte unterdeß das gluͤck¬
liche Ehepaar, Annidi, auf einem Fußbaͤnkchen mit
beiden Armen auf Otto's Knie geſtuͤtzt und die gebra¬
tenen Kaſtanien ausſchaͤlend, die ſie jede zur Haͤlfte
mit einander theilten. Der Mond ſchimmerte ſchon
durch das Weinlaub, Otto war ſeligſtill, die junge
Frau uͤberaus ſchoͤn, druͤben ſang der Knabe wieder:
Wer hat dir das Kraͤnzlein genommen?
Fortunaten aber uͤberwaͤltigte mitten in dieſer
Stille eine unwiderſtehliche Wehmuth, als ſey Otto
nun hier in der Fremde maͤhrchenhaft verzaubert. Es
wollte ihm das Herz zerſprengen, er ſchuͤtzte ein drin¬
gendes Geſchaͤft vor, ergriff ſchnell ſeinen Hut und
nahm tief geruͤhrt Abſchied von dem Freunde, wie von
einem Verſtorbenen. Als er zuruͤckblickte, ſtanden Otto
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/230>, abgerufen am 22.11.2024.
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