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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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wo jeder nur sich selbst reden hört und beantwor¬
tet, anstatt daß er bey jeder Unterhaltung mit red¬
lichem Eifer für die Sache selbst in den anderen
überzeugend einzudringen suchte. Am sichtbarsten
unter allen aber war Rosa verstimmt. Sie hatte
sich ganz besondere, unerhörte Ereignisse und Wun¬
derdinge von der Reise versprochen, und da diese
nun nicht erscheinen wollten und auch der Schimmer
der Neuheit von ihren Augen gefallen war, fieng
sie nach und nach an zu bemerken, daß es sich doch
eigentlich für sie nicht schicke, so allein mit den
Männern in der Welt herumzustreifen, und sie hat¬
te keine Ruhe und keine Lust mehr an den ewigen,
langweiligen Steinen und Bäumen.

So waren sie an einen freygrünen Platz auf
dem Gipfel einer Anhöhe gekommen und beschlossen,
hier den Mittag abzuwarten. Ringsum lagen nie¬
drigere Berge mit Schwarzwald bedeckt, von der
einen Seite aber hatte man eine weite Aussicht in's
ebene Land, wo man die blauen Thürme der Re¬
sidenz an einem blitzenden Strome sich ausbreiten
sah. Der mitgenommene Mundvorrath wurde nun
abgepackt, ein Feldtischchen mitten in der Aue auf¬
gepflanzt, und alle lagerten sich in einem Kreise
auf dem Rasen herum und aßen und tranken.
Rosa mochte launisch nichts genießen, sondern zog,
zu Leontins großem Aergerniß, ihre Strickerey her¬
vor, sezte sich allein seitwärts und arbeitete, bis sie
am Ende darüber einschlief. Friedrich und Leon¬
tin
nahmen daher ihre Flinten und giengen in den

wo jeder nur ſich ſelbſt reden hört und beantwor¬
tet, anſtatt daß er bey jeder Unterhaltung mit red¬
lichem Eifer für die Sache ſelbſt in den anderen
überzeugend einzudringen ſuchte. Am ſichtbarſten
unter allen aber war Roſa verſtimmt. Sie hatte
ſich ganz beſondere, unerhörte Ereigniſſe und Wun¬
derdinge von der Reiſe verſprochen, und da dieſe
nun nicht erſcheinen wollten und auch der Schimmer
der Neuheit von ihren Augen gefallen war, fieng
ſie nach und nach an zu bemerken, daß es ſich doch
eigentlich für ſie nicht ſchicke, ſo allein mit den
Männern in der Welt herumzuſtreifen, und ſie hat¬
te keine Ruhe und keine Luſt mehr an den ewigen,
langweiligen Steinen und Bäumen.

So waren ſie an einen freygrünen Platz auf
dem Gipfel einer Anhöhe gekommen und beſchloſſen,
hier den Mittag abzuwarten. Ringsum lagen nie¬
drigere Berge mit Schwarzwald bedeckt, von der
einen Seite aber hatte man eine weite Ausſicht in's
ebene Land, wo man die blauen Thürme der Re¬
ſidenz an einem blitzenden Strome ſich ausbreiten
ſah. Der mitgenommene Mundvorrath wurde nun
abgepackt, ein Feldtiſchchen mitten in der Aue auf¬
gepflanzt, und alle lagerten ſich in einem Kreiſe
auf dem Raſen herum und aßen und tranken.
Roſa mochte launiſch nichts genießen, ſondern zog,
zu Leontins großem Aergerniß, ihre Strickerey her¬
vor, ſezte ſich allein ſeitwärts und arbeitete, bis ſie
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tin
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[90/0096] wo jeder nur ſich ſelbſt reden hört und beantwor¬ tet, anſtatt daß er bey jeder Unterhaltung mit red¬ lichem Eifer für die Sache ſelbſt in den anderen überzeugend einzudringen ſuchte. Am ſichtbarſten unter allen aber war Roſa verſtimmt. Sie hatte ſich ganz beſondere, unerhörte Ereigniſſe und Wun¬ derdinge von der Reiſe verſprochen, und da dieſe nun nicht erſcheinen wollten und auch der Schimmer der Neuheit von ihren Augen gefallen war, fieng ſie nach und nach an zu bemerken, daß es ſich doch eigentlich für ſie nicht ſchicke, ſo allein mit den Männern in der Welt herumzuſtreifen, und ſie hat¬ te keine Ruhe und keine Luſt mehr an den ewigen, langweiligen Steinen und Bäumen. So waren ſie an einen freygrünen Platz auf dem Gipfel einer Anhöhe gekommen und beſchloſſen, hier den Mittag abzuwarten. Ringsum lagen nie¬ drigere Berge mit Schwarzwald bedeckt, von der einen Seite aber hatte man eine weite Ausſicht in's ebene Land, wo man die blauen Thürme der Re¬ ſidenz an einem blitzenden Strome ſich ausbreiten ſah. Der mitgenommene Mundvorrath wurde nun abgepackt, ein Feldtiſchchen mitten in der Aue auf¬ gepflanzt, und alle lagerten ſich in einem Kreiſe auf dem Raſen herum und aßen und tranken. Roſa mochte launiſch nichts genießen, ſondern zog, zu Leontins großem Aergerniß, ihre Strickerey her¬ vor, ſezte ſich allein ſeitwärts und arbeitete, bis ſie am Ende darüber einſchlief. Friedrich und Leon¬ tin nahmen daher ihre Flinten und giengen in den

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/96>, abgerufen am 04.12.2024.