Faber hatte nemlich gestern Abend mit Marie eine heimliche Zusammenkunft in der Dachkammer, wo sie schliefe, verabredet. Das schlaue Mädchen aber hatte, statt Wort zu halten, das Dachfenster von innen fest versperrt und sich, ehe noch Faber so künstlich von ihnen weggeschlichen, in den Wald hinausbegeben, wo sie abwartete, bis der Verlieb¬ te, der Verabredung gemäß, auf der Leiter das Dach erstiegen hatte. Dann sprang, sie schnell her¬ vor, nahm die Leiter weg und sang ihm unten das lustige Ständchen, das Friedrich gestern be¬ lauscht, während Faber, stumm vor Zorn und Scham, zwischen Himmel und Erde hieng.
Leontin und Rosa lachten unmässig und fan¬ den den Einfall überaus herrlich. Friedrich aber fand ihn anders und schüttelte unwillig den Kopf über das vierzehnjährige Mädchen.
Sie sezten nun also ihre Reise allein weiter fort. Der Morgen war sehr heiter, die Gegend wunderschön; demohngeachtet konnten sie heute gar nicht recht in die alte Lust und gewohnte Gesprächs¬ weise hineinkommen. Faber fehlte ihnen und wurde von allen vermißt, besonders von Leontin, der fort¬ während einen Ableiter seines überflüssigen Witzes brauchte. Dazu taugte ihm aber gerade niemand besser als Faber, der komisch genug war, um Witz zu erzeugen, und selber witzig genug, ihn zu ver¬ steh'n. Friedrich nannte daher auch alle Gespräche zwischen Leontin und Faber egoistische Monologe,
Faber hatte nemlich geſtern Abend mit Marie eine heimliche Zuſammenkunft in der Dachkammer, wo ſie ſchliefe, verabredet. Das ſchlaue Mädchen aber hatte, ſtatt Wort zu halten, das Dachfenſter von innen feſt verſperrt und ſich, ehe noch Faber ſo künſtlich von ihnen weggeſchlichen, in den Wald hinausbegeben, wo ſie abwartete, bis der Verlieb¬ te, der Verabredung gemäß, auf der Leiter das Dach erſtiegen hatte. Dann ſprang, ſie ſchnell her¬ vor, nahm die Leiter weg und ſang ihm unten das luſtige Ständchen, das Friedrich geſtern be¬ lauſcht, während Faber, ſtumm vor Zorn und Scham, zwiſchen Himmel und Erde hieng.
Leontin und Roſa lachten unmäſſig und fan¬ den den Einfall überaus herrlich. Friedrich aber fand ihn anders und ſchüttelte unwillig den Kopf über das vierzehnjährige Mädchen.
Sie ſezten nun alſo ihre Reiſe allein weiter fort. Der Morgen war ſehr heiter, die Gegend wunderſchön; demohngeachtet konnten ſie heute gar nicht recht in die alte Luſt und gewohnte Geſprächs¬ weiſe hineinkommen. Faber fehlte ihnen und wurde von allen vermißt, beſonders von Leontin, der fort¬ während einen Ableiter ſeines überflüſſigen Witzes brauchte. Dazu taugte ihm aber gerade niemand beſſer als Faber, der komiſch genug war, um Witz zu erzeugen, und ſelber witzig genug, ihn zu ver¬ ſteh'n. Friedrich nannte daher auch alle Geſpräche zwiſchen Leontin und Faber egoiſtiſche Monologe,
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Faber hatte nemlich geſtern Abend mit Marie
eine heimliche Zuſammenkunft in der Dachkammer,
wo ſie ſchliefe, verabredet. Das ſchlaue Mädchen
aber hatte, ſtatt Wort zu halten, das Dachfenſter
von innen feſt verſperrt und ſich, ehe noch Faber
ſo künſtlich von ihnen weggeſchlichen, in den Wald
hinausbegeben, wo ſie abwartete, bis der Verlieb¬
te, der Verabredung gemäß, auf der Leiter das
Dach erſtiegen hatte. Dann ſprang, ſie ſchnell her¬
vor, nahm die Leiter weg und ſang ihm unten das
luſtige Ständchen, das Friedrich geſtern be¬
lauſcht, während Faber, ſtumm vor Zorn und
Scham, zwiſchen Himmel und Erde hieng.
Leontin und Roſa lachten unmäſſig und fan¬
den den Einfall überaus herrlich. Friedrich aber
fand ihn anders und ſchüttelte unwillig den Kopf
über das vierzehnjährige Mädchen.
Sie ſezten nun alſo ihre Reiſe allein weiter
fort. Der Morgen war ſehr heiter, die Gegend
wunderſchön; demohngeachtet konnten ſie heute gar
nicht recht in die alte Luſt und gewohnte Geſprächs¬
weiſe hineinkommen. Faber fehlte ihnen und wurde
von allen vermißt, beſonders von Leontin, der fort¬
während einen Ableiter ſeines überflüſſigen Witzes
brauchte. Dazu taugte ihm aber gerade niemand
beſſer als Faber, der komiſch genug war, um Witz
zu erzeugen, und ſelber witzig genug, ihn zu ver¬
ſteh'n. Friedrich nannte daher auch alle Geſpräche
zwiſchen Leontin und Faber egoiſtiſche Monologe,
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/95>, abgerufen am 02.03.2025.
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