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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Alle diese Herrlichkeit dauerte nicht lange. Mein
Hofmeister, ein aufgeklärter Mann, kam hinter mei¬
ne heimlichen Studien und nahm mir die geliebten
Bücher weg. Ich war untröstlich. Aber Gott sey
Dank, das Wegnehmen kam zu spät. Meine Phan¬
tasie hatte auf den waldgrünen Bergen, unter den
Wundern und Helden jener Geschichten gesunde,
freye Luft genug eingesogen, um sich des Anfalls
einer ganzen nüchternen Welt zu erwehren. Ich
bekam nun dafür Kampe's Kinderbibliothek. Da er¬
fuhr ich denn, wie man Bohnen steckt, sich selber
Regenschirme macht, wenn man etwa einmal wie
Robinson auf eine wüste Insel verschlagen werden
sollte, nebstbey mehrere zuckergebackene, edle Hand¬
lungen, einige Aelternliebe und kindliche Liebe in
Charaden. Mitten aus dieser pädagogischen Fabrik
schlugen mir einige kleine Lieder von Mathias Clau¬
dius rührend und lockend ans Herz. Sie sahen mich
in meiner prosaischen Niedergeschlagenheit mit schlich¬
ten, ernsten, treuen Augen an, als wollten sie
freundlichtröstend sagen: "Lasset die Kleinen zu mir
kommen!" Diese Blumen machten mir den Far¬
ben- und Geruchslosen, zur Menschheitssaat umge¬
pflügten, Boden, in welchen sie seltsam genug ver¬
pflanzt waren, einigermassen heimathlich. Ich ent¬
sinne mich, daß ich in dieser Zeit verschiedene Plä¬
ze im Garten hatte, welche Hamburg, Braun¬
schweig und Wandsbeck vorstellten. Da eilte ich
denn von einem zum andern und brachte dem guten

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Alle dieſe Herrlichkeit dauerte nicht lange. Mein
Hofmeiſter, ein aufgeklärter Mann, kam hinter mei¬
ne heimlichen Studien und nahm mir die geliebten
Bücher weg. Ich war untröſtlich. Aber Gott ſey
Dank, das Wegnehmen kam zu ſpät. Meine Phan¬
taſie hatte auf den waldgrünen Bergen, unter den
Wundern und Helden jener Geſchichten geſunde,
freye Luft genug eingeſogen, um ſich des Anfalls
einer ganzen nüchternen Welt zu erwehren. Ich
bekam nun dafür Kampe's Kinderbibliothek. Da er¬
fuhr ich denn, wie man Bohnen ſteckt, ſich ſelber
Regenſchirme macht, wenn man etwa einmal wie
Robinſon auf eine wüſte Inſel verſchlagen werden
ſollte, nebſtbey mehrere zuckergebackene, edle Hand¬
lungen, einige Aelternliebe und kindliche Liebe in
Charaden. Mitten aus dieſer pädagogiſchen Fabrik
ſchlugen mir einige kleine Lieder von Mathias Clau¬
dius rührend und lockend ans Herz. Sie ſahen mich
in meiner proſaiſchen Niedergeſchlagenheit mit ſchlich¬
ten, ernſten, treuen Augen an, als wollten ſie
freundlichtröſtend ſagen: „Laſſet die Kleinen zu mir
kommen!“ Dieſe Blumen machten mir den Far¬
ben- und Geruchsloſen, zur Menſchheitsſaat umge¬
pflügten, Boden, in welchen ſie ſeltſam genug ver¬
pflanzt waren, einigermaſſen heimathlich. Ich ent¬
ſinne mich, daß ich in dieſer Zeit verſchiedene Plä¬
ze im Garten hatte, welche Hamburg, Braun¬
ſchweig und Wandsbeck vorſtellten. Da eilte ich
denn von einem zum andern und brachte dem guten

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[81/0087] Alle dieſe Herrlichkeit dauerte nicht lange. Mein Hofmeiſter, ein aufgeklärter Mann, kam hinter mei¬ ne heimlichen Studien und nahm mir die geliebten Bücher weg. Ich war untröſtlich. Aber Gott ſey Dank, das Wegnehmen kam zu ſpät. Meine Phan¬ taſie hatte auf den waldgrünen Bergen, unter den Wundern und Helden jener Geſchichten geſunde, freye Luft genug eingeſogen, um ſich des Anfalls einer ganzen nüchternen Welt zu erwehren. Ich bekam nun dafür Kampe's Kinderbibliothek. Da er¬ fuhr ich denn, wie man Bohnen ſteckt, ſich ſelber Regenſchirme macht, wenn man etwa einmal wie Robinſon auf eine wüſte Inſel verſchlagen werden ſollte, nebſtbey mehrere zuckergebackene, edle Hand¬ lungen, einige Aelternliebe und kindliche Liebe in Charaden. Mitten aus dieſer pädagogiſchen Fabrik ſchlugen mir einige kleine Lieder von Mathias Clau¬ dius rührend und lockend ans Herz. Sie ſahen mich in meiner proſaiſchen Niedergeſchlagenheit mit ſchlich¬ ten, ernſten, treuen Augen an, als wollten ſie freundlichtröſtend ſagen: „Laſſet die Kleinen zu mir kommen!“ Dieſe Blumen machten mir den Far¬ ben- und Geruchsloſen, zur Menſchheitsſaat umge¬ pflügten, Boden, in welchen ſie ſeltſam genug ver¬ pflanzt waren, einigermaſſen heimathlich. Ich ent¬ ſinne mich, daß ich in dieſer Zeit verſchiedene Plä¬ ze im Garten hatte, welche Hamburg, Braun¬ ſchweig und Wandsbeck vorſtellten. Da eilte ich denn von einem zum andern und brachte dem guten 6

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/87>, abgerufen am 27.11.2024.