Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich weiß nicht, ob der Frühling mit seinen.
Zauberlichtern in diese Geschichten hineinspielte, oder
ob sie den Lenz mit ihren rührenden Wunderschei¬
nen überglänzten, -- aber Blumen, Wald und
Wiesen erschienen mir damals anders und schöner.
Es war, als hätten mir diese Bücher die goldenen
Schlüssel zu den Wunderschäzen und der verborge¬
nen Pracht der Natur gegeben. Mir war noch nie
so fromm und fröhlich zu Muthe gewesen. Selbst
die ungeschickten Holzstiche dabey waren mir lieb,
ja überaus werth. Ich erinnere mich noch jezt mit
Vergnügen, wie ich mich in das Bild, wo der Rit¬
ter Peter von seinen Aeltern zieht, vertiefen konn¬
te, wie ich mir den einen Berg im Hintergrunde
mit Burgen, Wäldern, Städten und Morgenglanz
ausschmückte, und in das Meer dahinter, aus we¬
nigen groben Strichen bestehend, und die Wolken
drüber mit ganzer Seele hineinsegelte. Ja, ich
glaube wahrhaftig, wenn einmal bey Gedichten Bil¬
der seyn sollen, so sind solche die besten. Jene
feinern, sauberen Kupferstiche mit ihren modernen
Gesichtern und ihrer, bis zum kleinsten Strauche,
ausgeführten und festbegränzten Umgebung verder¬
ben und beengen alle Einbildung, anstatt daß diese
Holzstiche mit ihren verworrenen Strichen und un¬
kenntlichen Gesichtern der Phantasie, ohne die doch
niemand lesen sollte, einen frischen, unendlichen
Spielraum eröffnen, ja, sie gleichsam herausfor¬
dern.

Alle

Ich weiß nicht, ob der Frühling mit ſeinen.
Zauberlichtern in dieſe Geſchichten hineinſpielte, oder
ob ſie den Lenz mit ihren rührenden Wunderſchei¬
nen überglänzten, — aber Blumen, Wald und
Wieſen erſchienen mir damals anders und ſchöner.
Es war, als hätten mir dieſe Bücher die goldenen
Schlüſſel zu den Wunderſchäzen und der verborge¬
nen Pracht der Natur gegeben. Mir war noch nie
ſo fromm und fröhlich zu Muthe geweſen. Selbſt
die ungeſchickten Holzſtiche dabey waren mir lieb,
ja überaus werth. Ich erinnere mich noch jezt mit
Vergnügen, wie ich mich in das Bild, wo der Rit¬
ter Peter von ſeinen Aeltern zieht, vertiefen konn¬
te, wie ich mir den einen Berg im Hintergrunde
mit Burgen, Wäldern, Städten und Morgenglanz
ausſchmückte, und in das Meer dahinter, aus we¬
nigen groben Strichen beſtehend, und die Wolken
drüber mit ganzer Seele hineinſegelte. Ja, ich
glaube wahrhaftig, wenn einmal bey Gedichten Bil¬
der ſeyn ſollen, ſo ſind ſolche die beſten. Jene
feinern, ſauberen Kupferſtiche mit ihren modernen
Geſichtern und ihrer, bis zum kleinſten Strauche,
ausgeführten und feſtbegränzten Umgebung verder¬
ben und beengen alle Einbildung, anſtatt daß dieſe
Holzſtiche mit ihren verworrenen Strichen und un¬
kenntlichen Geſichtern der Phantaſie, ohne die doch
niemand leſen ſollte, einen friſchen, unendlichen
Spielraum eröffnen, ja, ſie gleichſam herausfor¬
dern.

Alle
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0086" n="80"/>
          <p>Ich weiß nicht, ob der Frühling mit &#x017F;einen.<lb/>
Zauberlichtern in die&#x017F;e Ge&#x017F;chichten hinein&#x017F;pielte, oder<lb/>
ob &#x017F;ie den Lenz mit ihren rührenden Wunder&#x017F;chei¬<lb/>
nen überglänzten, &#x2014; aber Blumen, Wald und<lb/>
Wie&#x017F;en er&#x017F;chienen mir damals anders und &#x017F;chöner.<lb/>
Es war, als hätten mir die&#x017F;e Bücher die goldenen<lb/>
Schlü&#x017F;&#x017F;el zu den Wunder&#x017F;chäzen und der verborge¬<lb/>
nen Pracht der Natur gegeben. Mir war noch nie<lb/>
&#x017F;o fromm und fröhlich zu Muthe gewe&#x017F;en. Selb&#x017F;t<lb/>
die unge&#x017F;chickten Holz&#x017F;tiche dabey waren mir lieb,<lb/>
ja überaus werth. Ich erinnere mich noch jezt mit<lb/>
Vergnügen, wie ich mich in das Bild, wo der Rit¬<lb/>
ter Peter von &#x017F;einen Aeltern zieht, vertiefen konn¬<lb/>
te, wie ich mir den einen Berg im Hintergrunde<lb/>
mit Burgen, Wäldern, Städten und Morgenglanz<lb/>
aus&#x017F;chmückte, und in das Meer dahinter, aus we¬<lb/>
nigen groben Strichen be&#x017F;tehend, und die Wolken<lb/>
drüber mit ganzer Seele hinein&#x017F;egelte. Ja, ich<lb/>
glaube wahrhaftig, wenn einmal bey Gedichten Bil¬<lb/>
der &#x017F;eyn &#x017F;ollen, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;olche die be&#x017F;ten. Jene<lb/>
feinern, &#x017F;auberen Kupfer&#x017F;tiche mit ihren modernen<lb/>
Ge&#x017F;ichtern und ihrer, bis zum klein&#x017F;ten Strauche,<lb/>
ausgeführten und fe&#x017F;tbegränzten Umgebung verder¬<lb/>
ben und beengen alle Einbildung, an&#x017F;tatt daß die&#x017F;e<lb/>
Holz&#x017F;tiche mit ihren verworrenen Strichen und un¬<lb/>
kenntlichen Ge&#x017F;ichtern der Phanta&#x017F;ie, ohne die doch<lb/>
niemand le&#x017F;en &#x017F;ollte, einen fri&#x017F;chen, unendlichen<lb/>
Spielraum eröffnen, ja, &#x017F;ie gleich&#x017F;am herausfor¬<lb/>
dern.<lb/></p>
          <fw place="bottom" type="catch">Alle<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0086] Ich weiß nicht, ob der Frühling mit ſeinen. Zauberlichtern in dieſe Geſchichten hineinſpielte, oder ob ſie den Lenz mit ihren rührenden Wunderſchei¬ nen überglänzten, — aber Blumen, Wald und Wieſen erſchienen mir damals anders und ſchöner. Es war, als hätten mir dieſe Bücher die goldenen Schlüſſel zu den Wunderſchäzen und der verborge¬ nen Pracht der Natur gegeben. Mir war noch nie ſo fromm und fröhlich zu Muthe geweſen. Selbſt die ungeſchickten Holzſtiche dabey waren mir lieb, ja überaus werth. Ich erinnere mich noch jezt mit Vergnügen, wie ich mich in das Bild, wo der Rit¬ ter Peter von ſeinen Aeltern zieht, vertiefen konn¬ te, wie ich mir den einen Berg im Hintergrunde mit Burgen, Wäldern, Städten und Morgenglanz ausſchmückte, und in das Meer dahinter, aus we¬ nigen groben Strichen beſtehend, und die Wolken drüber mit ganzer Seele hineinſegelte. Ja, ich glaube wahrhaftig, wenn einmal bey Gedichten Bil¬ der ſeyn ſollen, ſo ſind ſolche die beſten. Jene feinern, ſauberen Kupferſtiche mit ihren modernen Geſichtern und ihrer, bis zum kleinſten Strauche, ausgeführten und feſtbegränzten Umgebung verder¬ ben und beengen alle Einbildung, anſtatt daß dieſe Holzſtiche mit ihren verworrenen Strichen und un¬ kenntlichen Geſichtern der Phantaſie, ohne die doch niemand leſen ſollte, einen friſchen, unendlichen Spielraum eröffnen, ja, ſie gleichſam herausfor¬ dern. Alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/86
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/86>, abgerufen am 02.05.2024.