seitdem habe ich von ihm nichts mehr sehen, noch erfahren können.
Bald darauf verließ auch Angelina mit ihrem Vater, der weitläufig mit uns verwandt war, un¬ ser Schloß und reiste nach Italien zurück. Es ist sonderbar, daß ich mich auf die Züge des Kindes nie wieder besinnen konnte. Nur ein leises, freund¬ liches Bild ihrer Gestalt und ganzen lieblichen Ge¬ genwart blieb mir übrig. Und so war denn nun das Kleeblatt meiner Kindheit zerrissen und Gott weiß, ob wir uns jemals wiedersehen. -- Mir war zum Sterben bange, mein Spielzeug freute mich nicht mehr, der Garten kam mir unaussprechlich einsam vor. Es war, als müßte ich hinter jedem Baume, an jedem Bogengange noch Angelina oder meinem Bruder begegnen, das einförmige Plät¬ schern der Wasserkünste Tag und Nacht hindurch vermehrte nur meine tiefe Bangsamkeit. Mir war es unbegreiflich, wie es meine Pflegeältern hier noch aushalten konnten, wie alles um mich herum seinen alten Gang fortgieng, als wäre eben alles noch, wie zuvor.
Damals gieng ich oft heimlich und ganz allein nach dem Gebirge, das mir Rudolph an jenem lez¬ ten Abend gezeigt hatte, und hoffte in meinem kin¬ dischen Sinne zuversichtlich, ihn dort noch wiederzu¬ finden. Wie oft überfiel mich dort ein Grausen vor den Bergen, wenn ich mich manchmal droben ver¬ spätet hatte und nur noch die Schläge einsamer Holzhauer durch die dunkelgrünen Bogen herauf¬
ſeitdem habe ich von ihm nichts mehr ſehen, noch erfahren können.
Bald darauf verließ auch Angelina mit ihrem Vater, der weitläufig mit uns verwandt war, un¬ ſer Schloß und reiste nach Italien zurück. Es iſt ſonderbar, daß ich mich auf die Züge des Kindes nie wieder beſinnen konnte. Nur ein leiſes, freund¬ liches Bild ihrer Geſtalt und ganzen lieblichen Ge¬ genwart blieb mir übrig. Und ſo war denn nun das Kleeblatt meiner Kindheit zerriſſen und Gott weiß, ob wir uns jemals wiederſehen. — Mir war zum Sterben bange, mein Spielzeug freute mich nicht mehr, der Garten kam mir unausſprechlich einſam vor. Es war, als müßte ich hinter jedem Baume, an jedem Bogengange noch Angelina oder meinem Bruder begegnen, das einförmige Plät¬ ſchern der Waſſerkünſte Tag und Nacht hindurch vermehrte nur meine tiefe Bangſamkeit. Mir war es unbegreiflich, wie es meine Pflegeältern hier noch aushalten konnten, wie alles um mich herum ſeinen alten Gang fortgieng, als wäre eben alles noch, wie zuvor.
Damals gieng ich oft heimlich und ganz allein nach dem Gebirge, das mir Rudolph an jenem lez¬ ten Abend gezeigt hatte, und hoffte in meinem kin¬ diſchen Sinne zuverſichtlich, ihn dort noch wiederzu¬ finden. Wie oft überfiel mich dort ein Grauſen vor den Bergen, wenn ich mich manchmal droben ver¬ ſpätet hatte und nur noch die Schläge einſamer Holzhauer durch die dunkelgrünen Bogen herauf¬
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ſeitdem habe ich von ihm nichts mehr ſehen, noch
erfahren können.
Bald darauf verließ auch Angelina mit ihrem
Vater, der weitläufig mit uns verwandt war, un¬
ſer Schloß und reiste nach Italien zurück. Es iſt
ſonderbar, daß ich mich auf die Züge des Kindes
nie wieder beſinnen konnte. Nur ein leiſes, freund¬
liches Bild ihrer Geſtalt und ganzen lieblichen Ge¬
genwart blieb mir übrig. Und ſo war denn nun
das Kleeblatt meiner Kindheit zerriſſen und Gott
weiß, ob wir uns jemals wiederſehen. — Mir war
zum Sterben bange, mein Spielzeug freute mich
nicht mehr, der Garten kam mir unausſprechlich
einſam vor. Es war, als müßte ich hinter jedem
Baume, an jedem Bogengange noch Angelina oder
meinem Bruder begegnen, das einförmige Plät¬
ſchern der Waſſerkünſte Tag und Nacht hindurch
vermehrte nur meine tiefe Bangſamkeit. Mir war
es unbegreiflich, wie es meine Pflegeältern hier
noch aushalten konnten, wie alles um mich herum
ſeinen alten Gang fortgieng, als wäre eben alles
noch, wie zuvor.
Damals gieng ich oft heimlich und ganz allein
nach dem Gebirge, das mir Rudolph an jenem lez¬
ten Abend gezeigt hatte, und hoffte in meinem kin¬
diſchen Sinne zuverſichtlich, ihn dort noch wiederzu¬
finden. Wie oft überfiel mich dort ein Grauſen vor
den Bergen, wenn ich mich manchmal droben ver¬
ſpätet hatte und nur noch die Schläge einſamer
Holzhauer durch die dunkelgrünen Bogen herauf¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/83>, abgerufen am 27.11.2024.
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