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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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nem Hause ist es noch viel kühler, erwiederte der
Bräutigam, und Ida schauderte unwillkührlich zu¬
sammen.

Darauf faßte er sie beym Arme und führte
sie mitten unter den lustigen Schwarm zum Tanze.
Der Morgen rückte indeß immer näher, die Kerzen
im Saale flackerten nur noch matt und löschten zum
Theil gar aus. Während Ida mit ihrem Bräuti¬
gam herumwalzte, bemerkte sie mit Grausen, daß
er immer blässer ward, je lichter es wurde. Draus¬
sen vor den Fenstern sah sie lange Männer mit
seltsamen Gesichtern ankommen, die in den Saal
hereinschauten. Auch die Gesichter der übrigen Gä¬
ste und Bekannten veränderten sich nach und nach,
und sie sahen alle aus wie Leichen. Mein Gott,
mit wem habe ich so lange Zeit gelebt! rief sie
aus. Sie konnte vor Ermattung nicht mehr fort
und wollte sich loswinden, aber der Bräutigam
hielt sie fest um den Leib und tanzte immerfort,
bis sie athemlos auf die Erde hinstürzte.

Frühmorgens, als die Sonne fröhlich über das
Gebirge schien, sah man den Schloßgarten auf dem
Berge verwüstet, im Schlosse war kein Mensch zu
finden, und alle Fenster standen weit offen. Die
Reisenden, die bey hellem Mondenschein oder um
die Mittagszeit an dem Flusse vorübergiengen, sa¬
hen oft ein junges Mädchen sich mitten im Strome
mit halbem Leibe über das Wasser emporheben.
Sie war sehr schön, aber todtenblaß.

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nem Hauſe iſt es noch viel kühler, erwiederte der
Bräutigam, und Ida ſchauderte unwillkührlich zu¬
ſammen.

Darauf faßte er ſie beym Arme und führte
ſie mitten unter den luſtigen Schwarm zum Tanze.
Der Morgen rückte indeß immer näher, die Kerzen
im Saale flackerten nur noch matt und löſchten zum
Theil gar aus. Während Ida mit ihrem Bräuti¬
gam herumwalzte, bemerkte ſie mit Grauſen, daß
er immer bläſſer ward, je lichter es wurde. Drauſ¬
ſen vor den Fenſtern ſah ſie lange Männer mit
ſeltſamen Geſichtern ankommen, die in den Saal
hereinſchauten. Auch die Geſichter der übrigen Gä¬
ſte und Bekannten veränderten ſich nach und nach,
und ſie ſahen alle aus wie Leichen. Mein Gott,
mit wem habe ich ſo lange Zeit gelebt! rief ſie
aus. Sie konnte vor Ermattung nicht mehr fort
und wollte ſich loswinden, aber der Bräutigam
hielt ſie feſt um den Leib und tanzte immerfort,
bis ſie athemlos auf die Erde hinſtürzte.

Frühmorgens, als die Sonne fröhlich über das
Gebirge ſchien, ſah man den Schloßgarten auf dem
Berge verwüſtet, im Schloſſe war kein Menſch zu
finden, und alle Fenſter ſtanden weit offen. Die
Reiſenden, die bey hellem Mondenſchein oder um
die Mittagszeit an dem Fluſſe vorübergiengen, ſa¬
hen oft ein junges Mädchen ſich mitten im Strome
mit halbem Leibe über das Waſſer emporheben.
Sie war ſehr ſchön, aber todtenblaß.

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[67/0073] nem Hauſe iſt es noch viel kühler, erwiederte der Bräutigam, und Ida ſchauderte unwillkührlich zu¬ ſammen. Darauf faßte er ſie beym Arme und führte ſie mitten unter den luſtigen Schwarm zum Tanze. Der Morgen rückte indeß immer näher, die Kerzen im Saale flackerten nur noch matt und löſchten zum Theil gar aus. Während Ida mit ihrem Bräuti¬ gam herumwalzte, bemerkte ſie mit Grauſen, daß er immer bläſſer ward, je lichter es wurde. Drauſ¬ ſen vor den Fenſtern ſah ſie lange Männer mit ſeltſamen Geſichtern ankommen, die in den Saal hereinſchauten. Auch die Geſichter der übrigen Gä¬ ſte und Bekannten veränderten ſich nach und nach, und ſie ſahen alle aus wie Leichen. Mein Gott, mit wem habe ich ſo lange Zeit gelebt! rief ſie aus. Sie konnte vor Ermattung nicht mehr fort und wollte ſich loswinden, aber der Bräutigam hielt ſie feſt um den Leib und tanzte immerfort, bis ſie athemlos auf die Erde hinſtürzte. Frühmorgens, als die Sonne fröhlich über das Gebirge ſchien, ſah man den Schloßgarten auf dem Berge verwüſtet, im Schloſſe war kein Menſch zu finden, und alle Fenſter ſtanden weit offen. Die Reiſenden, die bey hellem Mondenſchein oder um die Mittagszeit an dem Fluſſe vorübergiengen, ſa¬ hen oft ein junges Mädchen ſich mitten im Strome mit halbem Leibe über das Waſſer emporheben. Sie war ſehr ſchön, aber todtenblaß. 5 *

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/73>, abgerufen am 02.05.2024.