der ihr schauerliche Geschichten vom Wassermann er¬ zählte. Gar oft stand sie dann an dem blauen Flusse im Walde und rief mit lachendem Munde: Wassermann soll mein Bräutigam seyn! Wassermann soll mein Bräutigam seyn!
Als nun der Vater zum sterben kam, rief er die Tochter zu seinem Bette und übergab ihr einen großen Ring, der war sehr schwer von purem Golde gearbeitet. Er sagte dabey zu ihr: Dieser Ring ist vor uralten Zeiten von einer kunstreichen Hand verfertiget. Einer deiner Vorfahren hat ihn in Palästina, mitten im Getümmel der Schlacht erfochten. Dort lag er unter Blut und Staub auf dem Boden, aber er blieb unbefleckt und glänzte so hell und durchdringlich, daß sich alle Rosse davor bäumten und keines ihn mit seinem Hufe zertreten wollte. Alle deine Mütter haben den Ring getra¬ gen und Gott hat ihren frommen Ehestand gesegnet. Nimm du ihn nun auch hin und betrachte ihn alle Morgen mit rechten Sinnen, so wird sein Glanz dein Herz erquicken und stärken. Wenden sich aber deine Gedanken und Neigungen zum Bösen, so ver¬ löscht sein Glanz mit der Klarheit deiner Seele und wird dir gar trübe erscheinen. Bewahre ihn treu an deinem Finger, bis du einen tugendhaften Mann gefunden. Denn welcher Mann ihn einmal an sei¬ ner Hand trügt, der kann nicht mehr von Dir lassen, und wird dein Bräutigam. -- Bey diesen Worten verschied der alte Ritter.
der ihr ſchauerliche Geſchichten vom Waſſermann er¬ zählte. Gar oft ſtand ſie dann an dem blauen Fluſſe im Walde und rief mit lachendem Munde: Waſſermann ſoll mein Bräutigam ſeyn! Waſſermann ſoll mein Bräutigam ſeyn!
Als nun der Vater zum ſterben kam, rief er die Tochter zu ſeinem Bette und übergab ihr einen großen Ring, der war ſehr ſchwer von purem Golde gearbeitet. Er ſagte dabey zu ihr: Dieſer Ring iſt vor uralten Zeiten von einer kunſtreichen Hand verfertiget. Einer deiner Vorfahren hat ihn in Paläſtina, mitten im Getümmel der Schlacht erfochten. Dort lag er unter Blut und Staub auf dem Boden, aber er blieb unbefleckt und glänzte ſo hell und durchdringlich, daß ſich alle Roſſe davor bäumten und keines ihn mit ſeinem Hufe zertreten wollte. Alle deine Mütter haben den Ring getra¬ gen und Gott hat ihren frommen Eheſtand geſegnet. Nimm du ihn nun auch hin und betrachte ihn alle Morgen mit rechten Sinnen, ſo wird ſein Glanz dein Herz erquicken und ſtärken. Wenden ſich aber deine Gedanken und Neigungen zum Böſen, ſo ver¬ löſcht ſein Glanz mit der Klarheit deiner Seele und wird dir gar trübe erſcheinen. Bewahre ihn treu an deinem Finger, bis du einen tugendhaften Mann gefunden. Denn welcher Mann ihn einmal an ſei¬ ner Hand trügt, der kann nicht mehr von Dir laſſen, und wird dein Bräutigam. — Bey dieſen Worten verſchied der alte Ritter.
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der ihr ſchauerliche Geſchichten vom Waſſermann er¬
zählte. Gar oft ſtand ſie dann an dem blauen
Fluſſe im Walde und rief mit lachendem Munde:
Waſſermann ſoll mein Bräutigam ſeyn! Waſſermann
ſoll mein Bräutigam ſeyn!
Als nun der Vater zum ſterben kam, rief er
die Tochter zu ſeinem Bette und übergab ihr einen
großen Ring, der war ſehr ſchwer von purem
Golde gearbeitet. Er ſagte dabey zu ihr: Dieſer
Ring iſt vor uralten Zeiten von einer kunſtreichen
Hand verfertiget. Einer deiner Vorfahren hat ihn
in Paläſtina, mitten im Getümmel der Schlacht
erfochten. Dort lag er unter Blut und Staub auf
dem Boden, aber er blieb unbefleckt und glänzte ſo
hell und durchdringlich, daß ſich alle Roſſe davor
bäumten und keines ihn mit ſeinem Hufe zertreten
wollte. Alle deine Mütter haben den Ring getra¬
gen und Gott hat ihren frommen Eheſtand geſegnet.
Nimm du ihn nun auch hin und betrachte ihn alle
Morgen mit rechten Sinnen, ſo wird ſein Glanz
dein Herz erquicken und ſtärken. Wenden ſich aber
deine Gedanken und Neigungen zum Böſen, ſo ver¬
löſcht ſein Glanz mit der Klarheit deiner Seele und
wird dir gar trübe erſcheinen. Bewahre ihn treu
an deinem Finger, bis du einen tugendhaften Mann
gefunden. Denn welcher Mann ihn einmal an ſei¬
ner Hand trügt, der kann nicht mehr von Dir
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/67>, abgerufen am 02.05.2024.
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