bleichem Todtengesicht und blutigen Haaren; wessen Auge in der Einsamkeit geübt, der sieht schon jetzt in den wunderbaren Verschlingungen des Dampfes die Lineamente dazu aufringen und sich leise formi¬ ren. Verlohren ist, wen die Zeit unvorbereitet und ungewaffnet trifft; und wie mancher, der weich und aufgelegt zu Lust und fröhlichem Dichten, sich so gern mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz Hamlet, zu sich selber sagen: Weh', daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam! Denn aus ihren Fu¬ gen wird sie noch einmal kommen, ein unerhörter Kampf zwischen Altem und Neuem beginnen, die Leidenschaften, die jetzt verkappt schleichen, werden die Larven wegwerfen und flammender Wahnsinn sich mit Brandfackeln in die Verwirrung stürzen, als wäre die Hölle losgelassen, Recht und Unrecht, beyde Partheyen, in blinder Wuth einander ver¬ wechseln, -- Wunder werden zuletzt geschehen um der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch ewig alte Sonne durch die Gräuel bricht, die Don¬ ner rollen nur noch fernab an den Bergen, die weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen und die Erde hebt sich verweint, wie eine befreyte Schöne, in neuer Glorie empor. -- O Leontin! wer von uns wird das erleben! --
bleichem Todtengeſicht und blutigen Haaren; weſſen Auge in der Einſamkeit geübt, der ſieht ſchon jetzt in den wunderbaren Verſchlingungen des Dampfes die Lineamente dazu aufringen und ſich leiſe formi¬ ren. Verlohren iſt, wen die Zeit unvorbereitet und ungewaffnet trifft; und wie mancher, der weich und aufgelegt zu Luſt und fröhlichem Dichten, ſich ſo gern mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz Hamlet, zu ſich ſelber ſagen: Weh', daß ich zur Welt, ſie einzurichten, kam! Denn aus ihren Fu¬ gen wird ſie noch einmal kommen, ein unerhörter Kampf zwiſchen Altem und Neuem beginnen, die Leidenſchaften, die jetzt verkappt ſchleichen, werden die Larven wegwerfen und flammender Wahnſinn ſich mit Brandfackeln in die Verwirrung ſtürzen, als wäre die Hölle losgelaſſen, Recht und Unrecht, beyde Partheyen, in blinder Wuth einander ver¬ wechſeln, — Wunder werden zuletzt geſchehen um der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch ewig alte Sonne durch die Gräuel bricht, die Don¬ ner rollen nur noch fernab an den Bergen, die weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen und die Erde hebt ſich verweint, wie eine befreyte Schöne, in neuer Glorie empor. — O Leontin! wer von uns wird das erleben! —
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bleichem Todtengeſicht und blutigen Haaren; weſſen
Auge in der Einſamkeit geübt, der ſieht ſchon jetzt
in den wunderbaren Verſchlingungen des Dampfes
die Lineamente dazu aufringen und ſich leiſe formi¬
ren. Verlohren iſt, wen die Zeit unvorbereitet
und ungewaffnet trifft; und wie mancher, der weich
und aufgelegt zu Luſt und fröhlichem Dichten, ſich
ſo gern mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz
Hamlet, zu ſich ſelber ſagen: Weh', daß ich zur
Welt, ſie einzurichten, kam! Denn aus ihren Fu¬
gen wird ſie noch einmal kommen, ein unerhörter
Kampf zwiſchen Altem und Neuem beginnen, die
Leidenſchaften, die jetzt verkappt ſchleichen, werden
die Larven wegwerfen und flammender Wahnſinn
ſich mit Brandfackeln in die Verwirrung ſtürzen, als
wäre die Hölle losgelaſſen, Recht und Unrecht,
beyde Partheyen, in blinder Wuth einander ver¬
wechſeln, — Wunder werden zuletzt geſchehen um
der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch
ewig alte Sonne durch die Gräuel bricht, die Don¬
ner rollen nur noch fernab an den Bergen, die
weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/480>, abgerufen am 26.11.2024.
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