Meere. Friedrich begleitete sie. Langsam rückten, Berge und Wälder bey jedem Schritte immer wei¬ ter hinter ihnen zurück, das Meer rollte sich vor ihren Blicken auseinander.
Friedrich sagte unterwegs: Mir gleicht unsere Zeit dieser weiten, ungewissen Dämmerung! Licht und Schatten ringen noch ungeschieden in wunder¬ baren Massen gewaltig miteinander, dunkle Wolken zieh'n Verhängnißschwer dazwischen, ungewiß, ob sie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten in weiter, dumpfstiller Erwartung. Cometen und wunderbare Himmelszeichen zeigen sich wieder, Ge¬ spenster wandeln wieder durch unsere Nächte, fabel¬ hafte Syrenen selber tauchen, wie vor nahen Ge¬ wittern, von neuem über den Meeresspiegel und singen, alles weißt wie mit blutigem Finger war¬ nend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin. Unsere Jugend erfreut kein sorglos leichtes Spiel, keine fröhliche Ruhe, wie unsere Väter, uns hat frühe der Ernst des Lebens gefaßt. Im Kampfe sind wir gebohren, und im Kampfe werden wir, überwunden oder triumphirend, untergeh'n. Denn aus dem Zauberrauche unserer Bildung wird sich ein Kriegs-Gespenst gestalten, geharnischt, mit
Meere. Friedrich begleitete ſie. Langſam rückten, Berge und Wälder bey jedem Schritte immer wei¬ ter hinter ihnen zurück, das Meer rollte ſich vor ihren Blicken auseinander.
Friedrich ſagte unterwegs: Mir gleicht unſere Zeit dieſer weiten, ungewiſſen Dämmerung! Licht und Schatten ringen noch ungeſchieden in wunder¬ baren Maſſen gewaltig miteinander, dunkle Wolken zieh'n Verhängnißſchwer dazwiſchen, ungewiß, ob ſie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten in weiter, dumpfſtiller Erwartung. Cometen und wunderbare Himmelszeichen zeigen ſich wieder, Ge¬ ſpenſter wandeln wieder durch unſere Nächte, fabel¬ hafte Syrenen ſelber tauchen, wie vor nahen Ge¬ wittern, von neuem über den Meeresſpiegel und ſingen, alles weißt wie mit blutigem Finger war¬ nend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin. Unſere Jugend erfreut kein ſorglos leichtes Spiel, keine fröhliche Ruhe, wie unſere Väter, uns hat frühe der Ernſt des Lebens gefaßt. Im Kampfe ſind wir gebohren, und im Kampfe werden wir, überwunden oder triumphirend, untergeh'n. Denn aus dem Zauberrauche unſerer Bildung wird ſich ein Kriegs-Geſpenſt geſtalten, geharniſcht, mit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0479"n="473"/>
Meere. Friedrich begleitete ſie. Langſam rückten,<lb/>
Berge und Wälder bey jedem Schritte immer wei¬<lb/>
ter hinter ihnen zurück, das Meer rollte ſich vor<lb/>
ihren Blicken auseinander.</p><lb/><p>Friedrich ſagte unterwegs: Mir gleicht unſere<lb/>
Zeit dieſer weiten, ungewiſſen Dämmerung! Licht<lb/>
und Schatten ringen noch ungeſchieden in wunder¬<lb/>
baren Maſſen gewaltig miteinander, dunkle Wolken<lb/>
zieh'n Verhängnißſchwer dazwiſchen, ungewiß, ob<lb/>ſie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten<lb/>
in weiter, dumpfſtiller Erwartung. Cometen und<lb/>
wunderbare Himmelszeichen zeigen ſich wieder, Ge¬<lb/>ſpenſter wandeln wieder durch unſere Nächte, fabel¬<lb/>
hafte Syrenen ſelber tauchen, wie vor nahen Ge¬<lb/>
wittern, von neuem über den Meeresſpiegel und<lb/>ſingen, alles weißt wie mit blutigem Finger war¬<lb/>
nend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin.<lb/><hirendition="#g">Unſere</hi> Jugend erfreut kein ſorglos leichtes Spiel,<lb/>
keine fröhliche Ruhe, wie unſere Väter, uns hat<lb/>
frühe der Ernſt des Lebens gefaßt. Im Kampfe<lb/>ſind wir gebohren, und im Kampfe werden wir,<lb/>
überwunden oder triumphirend, untergeh'n. Denn<lb/>
aus dem Zauberrauche unſerer Bildung wird ſich<lb/>
ein Kriegs-Geſpenſt geſtalten, geharniſcht, mit<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[473/0479]
Meere. Friedrich begleitete ſie. Langſam rückten,
Berge und Wälder bey jedem Schritte immer wei¬
ter hinter ihnen zurück, das Meer rollte ſich vor
ihren Blicken auseinander.
Friedrich ſagte unterwegs: Mir gleicht unſere
Zeit dieſer weiten, ungewiſſen Dämmerung! Licht
und Schatten ringen noch ungeſchieden in wunder¬
baren Maſſen gewaltig miteinander, dunkle Wolken
zieh'n Verhängnißſchwer dazwiſchen, ungewiß, ob
ſie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten
in weiter, dumpfſtiller Erwartung. Cometen und
wunderbare Himmelszeichen zeigen ſich wieder, Ge¬
ſpenſter wandeln wieder durch unſere Nächte, fabel¬
hafte Syrenen ſelber tauchen, wie vor nahen Ge¬
wittern, von neuem über den Meeresſpiegel und
ſingen, alles weißt wie mit blutigem Finger war¬
nend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin.
Unſere Jugend erfreut kein ſorglos leichtes Spiel,
keine fröhliche Ruhe, wie unſere Väter, uns hat
frühe der Ernſt des Lebens gefaßt. Im Kampfe
ſind wir gebohren, und im Kampfe werden wir,
überwunden oder triumphirend, untergeh'n. Denn
aus dem Zauberrauche unſerer Bildung wird ſich
ein Kriegs-Geſpenſt geſtalten, geharniſcht, mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/479>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.