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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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wohnt der Graf? -- Dort rechts auf dem letzten
Berge in seinem Schlosse. -- Wer liegt dort, fuhr
Leontin fort, auf der grünen Höhe unter den stei¬
nernen Figuren begraben? -- Der Hirt sah ihn an
und antwortete nicht; er wußte nichts davon und
war noch niemals dort hinabgekommen. -- Sie rit¬
ten langsam neben ihm her, da erzählte er ihnen,
wie auch er weit von hier in den Thälern geboh¬
ren und aufgewachsen sey, aber das ist lange her,
sagte er, und weiß nicht mehr, wie es unten aus¬
sieht. Darauf wünschte er ihnen eine gute Nacht,
nahm seine Schalmey wieder vor und lenkte links
in das Gebirge hinein. -- Sie blickten rings um
sich, es war eine weite, kahle Haide und die Aus¬
sicht zwischen den einzelnen Fichten, die hin und
her zerstreut standen, unbeschreiblich einsam, als
wäre die Welt zu Ende. Es wurde ihnen Angst
und weh an dem Orte. Sie gaben ihren Pferden
die Sporen und schlugen rechts den Weg ein, den
ihnen der einsylbige Hirt zu dem Schlosse des Gra¬
fen angezeigt hatte.

Es war indeß völlig dunkel geworden. Die
Gegend wurde noch immer höher, die Luft schär¬
fer; sie wickelten sich fest in ihre Mäntel ein und
ritten schnell fort. Da erblickten sie endlich auf dem
höchsten Gipfel des Gebirges das verheissene Schloß.
Es war, soviel sie in der Dunkelheit unterscheiden
konnten, weitläuftig gebaut und alt. Der Weg
führte sie von selbst durch ein dunkles Bogenthor
in den alterthümlichen, gepflasterten Hof, in dessen

wohnt der Graf? — Dort rechts auf dem letzten
Berge in ſeinem Schloſſe. — Wer liegt dort, fuhr
Leontin fort, auf der grünen Höhe unter den ſtei¬
nernen Figuren begraben? — Der Hirt ſah ihn an
und antwortete nicht; er wußte nichts davon und
war noch niemals dort hinabgekommen. — Sie rit¬
ten langſam neben ihm her, da erzählte er ihnen,
wie auch er weit von hier in den Thälern geboh¬
ren und aufgewachſen ſey, aber das iſt lange her,
ſagte er, und weiß nicht mehr, wie es unten aus¬
ſieht. Darauf wünſchte er ihnen eine gute Nacht,
nahm ſeine Schalmey wieder vor und lenkte links
in das Gebirge hinein. — Sie blickten rings um
ſich, es war eine weite, kahle Haide und die Aus¬
ſicht zwiſchen den einzelnen Fichten, die hin und
her zerſtreut ſtanden, unbeſchreiblich einſam, als
wäre die Welt zu Ende. Es wurde ihnen Angſt
und weh an dem Orte. Sie gaben ihren Pferden
die Sporen und ſchlugen rechts den Weg ein, den
ihnen der einſylbige Hirt zu dem Schloſſe des Gra¬
fen angezeigt hatte.

Es war indeß völlig dunkel geworden. Die
Gegend wurde noch immer höher, die Luft ſchär¬
fer; ſie wickelten ſich feſt in ihre Mäntel ein und
ritten ſchnell fort. Da erblickten ſie endlich auf dem
höchſten Gipfel des Gebirges das verheiſſene Schloß.
Es war, ſoviel ſie in der Dunkelheit unterſcheiden
konnten, weitläuftig gebaut und alt. Der Weg
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[396/0402] wohnt der Graf? — Dort rechts auf dem letzten Berge in ſeinem Schloſſe. — Wer liegt dort, fuhr Leontin fort, auf der grünen Höhe unter den ſtei¬ nernen Figuren begraben? — Der Hirt ſah ihn an und antwortete nicht; er wußte nichts davon und war noch niemals dort hinabgekommen. — Sie rit¬ ten langſam neben ihm her, da erzählte er ihnen, wie auch er weit von hier in den Thälern geboh¬ ren und aufgewachſen ſey, aber das iſt lange her, ſagte er, und weiß nicht mehr, wie es unten aus¬ ſieht. Darauf wünſchte er ihnen eine gute Nacht, nahm ſeine Schalmey wieder vor und lenkte links in das Gebirge hinein. — Sie blickten rings um ſich, es war eine weite, kahle Haide und die Aus¬ ſicht zwiſchen den einzelnen Fichten, die hin und her zerſtreut ſtanden, unbeſchreiblich einſam, als wäre die Welt zu Ende. Es wurde ihnen Angſt und weh an dem Orte. Sie gaben ihren Pferden die Sporen und ſchlugen rechts den Weg ein, den ihnen der einſylbige Hirt zu dem Schloſſe des Gra¬ fen angezeigt hatte. Es war indeß völlig dunkel geworden. Die Gegend wurde noch immer höher, die Luft ſchär¬ fer; ſie wickelten ſich feſt in ihre Mäntel ein und ritten ſchnell fort. Da erblickten ſie endlich auf dem höchſten Gipfel des Gebirges das verheiſſene Schloß. Es war, ſoviel ſie in der Dunkelheit unterſcheiden konnten, weitläuftig gebaut und alt. Der Weg führte ſie von ſelbſt durch ein dunkles Bogenthor in den alterthümlichen, gepflaſterten Hof, in deſſen

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/402>, abgerufen am 23.11.2024.