Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer ewigen Burg, die großen Augen gedankenvoll
nach der Seite hingerichtet, wo die Sonne auf¬
geh'n sollte. Friedrich lagerte sich vorn auf einem
Felsen, der in das Thal hinausragte. Unten rings
um den Horizont war bereits ein heller Morgen¬
streifen sichtbar, kühle Winde kamen als Vorbothen
des Morgens angeflogen. Eine feyerliche, erwar¬
tungsvolle Stille war über die Schaar verbreitet,
einzelne Wachen nur hörte man von Zeit zu Zeit
weit über das Gebirge rufen. Ein Jäger vorn auf
dem Felsen begann folgendes Lied, in das immer
zuletzt alle die anderen mit einfielen:

In stiller Bucht, bey finst'rer Nacht,
Schläft tief die Welt im Grunde,
Die Berge rings steh'n auf der Wacht,
Der Himmel macht die Runde,
Geht um und um
Ums Land herum
Mit seinen goldnen Schaaren
Die Frommen zu bewahren.
Kommt nur heran mit Eurer List,
Mit Leitern, Strick und Banden,
Der Herr doch noch viel stärker ist,
Macht Euern Witz zu Schanden.
Wie war't Ihr klug! --
Nun schwindelt Trug
Hinab vom Felsenrande --
Wie seyd Ihr dumm! o Schande!
Gleichwie die Stämme in dem Wald
Woll'n wir zusammenhalten,
Ein' feste Burg, Trutz der Gewalt,
Verbleiben treu die alten.

ihrer ewigen Burg, die großen Augen gedankenvoll
nach der Seite hingerichtet, wo die Sonne auf¬
geh'n ſollte. Friedrich lagerte ſich vorn auf einem
Felſen, der in das Thal hinausragte. Unten rings
um den Horizont war bereits ein heller Morgen¬
ſtreifen ſichtbar, kühle Winde kamen als Vorbothen
des Morgens angeflogen. Eine feyerliche, erwar¬
tungsvolle Stille war über die Schaar verbreitet,
einzelne Wachen nur hörte man von Zeit zu Zeit
weit über das Gebirge rufen. Ein Jäger vorn auf
dem Felſen begann folgendes Lied, in das immer
zuletzt alle die anderen mit einfielen:

In ſtiller Bucht, bey finſt'rer Nacht,
Schläft tief die Welt im Grunde,
Die Berge rings ſteh'n auf der Wacht,
Der Himmel macht die Runde,
Geht um und um
Ums Land herum
Mit ſeinen goldnen Schaaren
Die Frommen zu bewahren.
Kommt nur heran mit Eurer Liſt,
Mit Leitern, Strick und Banden,
Der Herr doch noch viel ſtärker iſt,
Macht Euern Witz zu Schanden.
Wie war't Ihr klug! —
Nun ſchwindelt Trug
Hinab vom Felſenrande —
Wie ſeyd Ihr dumm! o Schande!
Gleichwie die Stämme in dem Wald
Woll'n wir zuſammenhalten,
Ein' feſte Burg, Trutz der Gewalt,
Verbleiben treu die alten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0341" n="335"/>
ihrer ewigen Burg, die großen Augen gedankenvoll<lb/>
nach <hi rendition="#g">der</hi> Seite hingerichtet, wo die Sonne auf¬<lb/>
geh'n &#x017F;ollte. Friedrich lagerte &#x017F;ich vorn auf einem<lb/>
Fel&#x017F;en, der in das Thal hinausragte. Unten rings<lb/>
um den Horizont war bereits ein heller Morgen¬<lb/>
&#x017F;treifen &#x017F;ichtbar, kühle Winde kamen als Vorbothen<lb/>
des Morgens angeflogen. Eine feyerliche, erwar¬<lb/>
tungsvolle Stille war über die Schaar verbreitet,<lb/>
einzelne Wachen nur hörte man von Zeit zu Zeit<lb/>
weit über das Gebirge rufen. Ein Jäger vorn auf<lb/>
dem Fel&#x017F;en begann folgendes Lied, in das immer<lb/>
zuletzt alle die anderen mit einfielen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l rendition="#et">In &#x017F;tiller Bucht, bey fin&#x017F;t'rer Nacht,</l><lb/>
              <l>Schläft tief die Welt im Grunde,</l><lb/>
              <l>Die Berge rings &#x017F;teh'n auf der Wacht,</l><lb/>
              <l>Der Himmel macht die Runde,</l><lb/>
              <l>Geht um und um</l><lb/>
              <l>Ums Land herum</l><lb/>
              <l>Mit &#x017F;einen goldnen Schaaren</l><lb/>
              <l>Die Frommen zu bewahren.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l rendition="#et">Kommt nur heran mit Eurer Li&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Mit Leitern, Strick und Banden,</l><lb/>
              <l>Der Herr doch noch viel &#x017F;tärker i&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Macht Euern Witz zu Schanden.</l><lb/>
              <l>Wie war't Ihr klug! &#x2014;</l><lb/>
              <l>Nun &#x017F;chwindelt Trug</l><lb/>
              <l>Hinab vom Fel&#x017F;enrande &#x2014;</l><lb/>
              <l>Wie &#x017F;eyd Ihr dumm! o Schande!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l rendition="#et">Gleichwie die Stämme in dem Wald</l><lb/>
              <l>Woll'n wir zu&#x017F;ammenhalten,</l><lb/>
              <l>Ein' fe&#x017F;te Burg, Trutz der Gewalt,</l><lb/>
              <l>Verbleiben treu die alten.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0341] ihrer ewigen Burg, die großen Augen gedankenvoll nach der Seite hingerichtet, wo die Sonne auf¬ geh'n ſollte. Friedrich lagerte ſich vorn auf einem Felſen, der in das Thal hinausragte. Unten rings um den Horizont war bereits ein heller Morgen¬ ſtreifen ſichtbar, kühle Winde kamen als Vorbothen des Morgens angeflogen. Eine feyerliche, erwar¬ tungsvolle Stille war über die Schaar verbreitet, einzelne Wachen nur hörte man von Zeit zu Zeit weit über das Gebirge rufen. Ein Jäger vorn auf dem Felſen begann folgendes Lied, in das immer zuletzt alle die anderen mit einfielen: In ſtiller Bucht, bey finſt'rer Nacht, Schläft tief die Welt im Grunde, Die Berge rings ſteh'n auf der Wacht, Der Himmel macht die Runde, Geht um und um Ums Land herum Mit ſeinen goldnen Schaaren Die Frommen zu bewahren. Kommt nur heran mit Eurer Liſt, Mit Leitern, Strick und Banden, Der Herr doch noch viel ſtärker iſt, Macht Euern Witz zu Schanden. Wie war't Ihr klug! — Nun ſchwindelt Trug Hinab vom Felſenrande — Wie ſeyd Ihr dumm! o Schande! Gleichwie die Stämme in dem Wald Woll'n wir zuſammenhalten, Ein' feſte Burg, Trutz der Gewalt, Verbleiben treu die alten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/341
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/341>, abgerufen am 23.11.2024.