Es schauderte ihn, wie er aus der warmen, fröhlichbunten Wirrung so auf einmal in diese ewig¬ stille Kühle hineintrat. Es war alles leer und dunkel drinnen, nur die ewige Lampe brannte wie ein farbiger Stern in der Mitte vor dem Hochal¬ tare; die Abendsonne schimmerte durch die gemahl¬ ten gothischen Fenster. Er kniete in eine Bank hin. Bald darauf bemerkte er in einem Winkel eine weibliche Gestalt, die vor einem Seitenaltare, im Gebeth versunken, auf den Knieen lag. Sie erhob sich nach einer Weile und sah ihn an. Da kam es ihm vor, als wäre es das Bürgermädchen, die un¬ glückliche Geliebte des Prinzen. Doch konnte er sich gar nicht recht in die Gestalt finden; sie schien ihm weit größer und ganz verändert seitdem. Sie war ganz weiß angezogen und sah sehr blaß und seltsam. Sie schien weder erfreut noch verwundert über seinen Anblick, sondern gieng, ohne ein Wort zu sprechen, tief in einen dunklen Seitengang hin¬ ein auf den Ausgang der Kirche zu. Friedrich gieng ihr nach, er wollte mit ihr sprechen. Aber draus¬ sen fuhren und giengen die Menschen bunt durchein¬ ander, und er hatte sie verlohren.
Als er nach Hause kam, fand er den Prinzen bey sich, der, den Kopf in die Hand gestützt, am Fenster saß und ihn erwartete. Mein hohes Mäd¬ chen ist todt! rief er aufspringend, als Friedrich hereintrat. Friedrich fuhr zusammen: Wann ist sie gestorben? -- Vorgestern. -- Friedrich stand in tie¬ fen Gedanken und hörte kaum, wie der Prinz er¬
Es ſchauderte ihn, wie er aus der warmen, fröhlichbunten Wirrung ſo auf einmal in dieſe ewig¬ ſtille Kühle hineintrat. Es war alles leer und dunkel drinnen, nur die ewige Lampe brannte wie ein farbiger Stern in der Mitte vor dem Hochal¬ tare; die Abendſonne ſchimmerte durch die gemahl¬ ten gothiſchen Fenſter. Er kniete in eine Bank hin. Bald darauf bemerkte er in einem Winkel eine weibliche Geſtalt, die vor einem Seitenaltare, im Gebeth verſunken, auf den Knieen lag. Sie erhob ſich nach einer Weile und ſah ihn an. Da kam es ihm vor, als wäre es das Bürgermädchen, die un¬ glückliche Geliebte des Prinzen. Doch konnte er ſich gar nicht recht in die Geſtalt finden; ſie ſchien ihm weit größer und ganz verändert ſeitdem. Sie war ganz weiß angezogen und ſah ſehr blaß und ſeltſam. Sie ſchien weder erfreut noch verwundert über ſeinen Anblick, ſondern gieng, ohne ein Wort zu ſprechen, tief in einen dunklen Seitengang hin¬ ein auf den Ausgang der Kirche zu. Friedrich gieng ihr nach, er wollte mit ihr ſprechen. Aber drauſ¬ ſen fuhren und giengen die Menſchen bunt durchein¬ ander, und er hatte ſie verlohren.
Als er nach Hauſe kam, fand er den Prinzen bey ſich, der, den Kopf in die Hand geſtützt, am Fenſter ſaß und ihn erwartete. Mein hohes Mäd¬ chen iſt todt! rief er aufſpringend, als Friedrich hereintrat. Friedrich fuhr zuſammen: Wann iſt ſie geſtorben? — Vorgeſtern. — Friedrich ſtand in tie¬ fen Gedanken und hörte kaum, wie der Prinz er¬
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Es ſchauderte ihn, wie er aus der warmen,
fröhlichbunten Wirrung ſo auf einmal in dieſe ewig¬
ſtille Kühle hineintrat. Es war alles leer und
dunkel drinnen, nur die ewige Lampe brannte wie
ein farbiger Stern in der Mitte vor dem Hochal¬
tare; die Abendſonne ſchimmerte durch die gemahl¬
ten gothiſchen Fenſter. Er kniete in eine Bank hin.
Bald darauf bemerkte er in einem Winkel eine
weibliche Geſtalt, die vor einem Seitenaltare, im
Gebeth verſunken, auf den Knieen lag. Sie erhob
ſich nach einer Weile und ſah ihn an. Da kam es
ihm vor, als wäre es das Bürgermädchen, die un¬
glückliche Geliebte des Prinzen. Doch konnte er
ſich gar nicht recht in die Geſtalt finden; ſie ſchien
ihm weit größer und ganz verändert ſeitdem. Sie
war ganz weiß angezogen und ſah ſehr blaß und
ſeltſam. Sie ſchien weder erfreut noch verwundert
über ſeinen Anblick, ſondern gieng, ohne ein Wort
zu ſprechen, tief in einen dunklen Seitengang hin¬
ein auf den Ausgang der Kirche zu. Friedrich gieng
ihr nach, er wollte mit ihr ſprechen. Aber drauſ¬
ſen fuhren und giengen die Menſchen bunt durchein¬
ander, und er hatte ſie verlohren.
Als er nach Hauſe kam, fand er den Prinzen
bey ſich, der, den Kopf in die Hand geſtützt, am
Fenſter ſaß und ihn erwartete. Mein hohes Mäd¬
chen iſt todt! rief er aufſpringend, als Friedrich
hereintrat. Friedrich fuhr zuſammen: Wann iſt ſie
geſtorben? — Vorgeſtern. — Friedrich ſtand in tie¬
fen Gedanken und hörte kaum, wie der Prinz er¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/308>, abgerufen am 23.11.2024.
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