Leontin mich immer auf meinem Sitze besucht haben. Die Sonne geht grade in der Gegend auf, wo Sie mir immer an den schwülen Nach¬ mittagen beschrieben haben, daß die Residenz liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe hoch in die Luft."
P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie sich vielleicht noch von dem Tanze auf dem Jagdschlosse erinnern, besucht uns jetzt oft und empfiehlt sich. Sie leben recht gut in ihrer Wildniß, sie hat schon ein Kind und ist noch schöner geworden und sehr lustig. Adieu!"
Friedrich legte das Papier stillschweigend zu¬ sammen. Ihn befiel eine unbeschreibliche Wehmuth bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten. Er dachte sich, wie sie alle dort noch immer wie damals, seit hundert Jahren und immerfort, zwi¬ schen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen, im ewiggleichen Wechsel einförmiger Tage frisch und arbeitsam Gott loben und glücklich sind und nichts wissen von der anderen Welt, die seitdem mit tau¬ send Freuden und Schmerzen durch seine Seele ge¬ gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬ merkte, auch Viktor nicht eben so glücklich und ru¬ hig seyn? --
Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬ erklärlicher, flüchtiger Erscheinung heftig bewegt. Er gieng sogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber
Leontin mich immer auf meinem Sitze beſucht haben. Die Sonne geht grade in der Gegend auf, wo Sie mir immer an den ſchwülen Nach¬ mittagen beſchrieben haben, daß die Reſidenz liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe hoch in die Luft.“
P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie ſich vielleicht noch von dem Tanze auf dem Jagdschloſſe erinnern, beſucht uns jetzt oft und empfiehlt ſich. Sie leben recht gut in ihrer Wildniß, ſie hat ſchon ein Kind und iſt noch ſchöner geworden und ſehr luſtig. Adieu!“
Friedrich legte das Papier ſtillſchweigend zu¬ ſammen. Ihn befiel eine unbeſchreibliche Wehmuth bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten. Er dachte ſich, wie ſie alle dort noch immer wie damals, ſeit hundert Jahren und immerfort, zwi¬ ſchen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen, im ewiggleichen Wechſel einförmiger Tage friſch und arbeitſam Gott loben und glücklich ſind und nichts wiſſen von der anderen Welt, die ſeitdem mit tau¬ ſend Freuden und Schmerzen durch ſeine Seele ge¬ gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬ merkte, auch Viktor nicht eben ſo glücklich und ru¬ hig ſeyn? —
Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬ erklärlicher, flüchtiger Erſcheinung heftig bewegt. Er gieng ſogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber
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Leontin mich immer auf meinem Sitze beſucht
haben. Die Sonne geht grade in der Gegend
auf, wo Sie mir immer an den ſchwülen Nach¬
mittagen beſchrieben haben, daß die Reſidenz
liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein
Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe
hoch in die Luft.“
P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie
ſich vielleicht noch von dem Tanze auf dem
Jagdschloſſe erinnern, beſucht uns jetzt oft und
empfiehlt ſich. Sie leben recht gut in ihrer
Wildniß, ſie hat ſchon ein Kind und iſt noch
ſchöner geworden und ſehr luſtig. Adieu!“
Friedrich legte das Papier ſtillſchweigend zu¬
ſammen. Ihn befiel eine unbeſchreibliche Wehmuth
bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten.
Er dachte ſich, wie ſie alle dort noch immer wie
damals, ſeit hundert Jahren und immerfort, zwi¬
ſchen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen,
im ewiggleichen Wechſel einförmiger Tage friſch und
arbeitſam Gott loben und glücklich ſind und nichts
wiſſen von der anderen Welt, die ſeitdem mit tau¬
ſend Freuden und Schmerzen durch ſeine Seele ge¬
gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬
merkte, auch Viktor nicht eben ſo glücklich und ru¬
hig ſeyn? —
Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬
erklärlicher, flüchtiger Erſcheinung heftig bewegt.
Er gieng ſogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/306>, abgerufen am 23.11.2024.
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