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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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dend, und lachte abscheulich dabey. -- Ah Pah!
rief Leontin zornig, das ist nichts, es muß noch
besser kommen! Er setzte sich hin und sang ein al¬
tes Lied aus dem dreyßigjährigen Kriege, dessen
fürchterliche Klänge wie blutige Schwerter durch
Mark und Bein giengen. Friedrich bemerkte, daß
Romana zitterte. Leontin war indeß wieder aufge¬
standen und hatte sich aus der Gesellschaft fortge¬
schlichen, wie immer wenn er gerührt war.

Wir aber wenden uns ebenfalls von diesen
Blasen der Phantasie, die, wie die Blasen auf dem
Rheine, nahes Gewitter bedeuten, zu der Einsamkeit
Friedrichs, wie er nun oft Nächtelang voller Ge¬
danken unter Büchern saß und arbeitete. Wohl ist
der Weltmarkt großer Städte eine rechte Schule des
Ernstes für bessere, beschauliche Gemüther, als der
getreueste Spiegel ihrer Zeit. Da haben sie den
alten gewaltigen Strom in ihre Maschienen und
Räder aufgefangen, daß er nur immer schneller und
schneller fließe, bis er gar abfließt, da spreitet denn
das arme Fabrikenleben in dem ausgetrockneten Bett
seine hochmüthigen Teppiche aus, deren inwendige
Kehrseite eckle, kahle, farblose Fäden sind, ver¬
schämt hängen dazwischen wenige Bilder in uralter
Schönheit verstaubt, die niemand betrachtet, das
Gemeinste und das Größte, heftig aneinander ge¬
worfen, wird hier zu Wort und Schlag, die
Schwäche wird dreist durch den Haufen, das Hohe
ficht allein. Friedrich sah zum erstenmale so recht
in den großen Spiegel, da schnitt ihm ein unbe¬

dend, und lachte abſcheulich dabey. — Ah Pah!
rief Leontin zornig, das iſt nichts, es muß noch
beſſer kommen! Er ſetzte ſich hin und ſang ein al¬
tes Lied aus dem dreyßigjährigen Kriege, deſſen
fürchterliche Klänge wie blutige Schwerter durch
Mark und Bein giengen. Friedrich bemerkte, daß
Romana zitterte. Leontin war indeß wieder aufge¬
ſtanden und hatte ſich aus der Geſellſchaft fortge¬
ſchlichen, wie immer wenn er gerührt war.

Wir aber wenden uns ebenfalls von dieſen
Blaſen der Phantaſie, die, wie die Blaſen auf dem
Rheine, nahes Gewitter bedeuten, zu der Einſamkeit
Friedrichs, wie er nun oft Nächtelang voller Ge¬
danken unter Büchern ſaß und arbeitete. Wohl iſt
der Weltmarkt großer Städte eine rechte Schule des
Ernſtes für beſſere, beſchauliche Gemüther, als der
getreueſte Spiegel ihrer Zeit. Da haben ſie den
alten gewaltigen Strom in ihre Maſchienen und
Räder aufgefangen, daß er nur immer ſchneller und
ſchneller fließe, bis er gar abfließt, da ſpreitet denn
das arme Fabrikenleben in dem ausgetrockneten Bett
ſeine hochmüthigen Teppiche aus, deren inwendige
Kehrſeite eckle, kahle, farbloſe Fäden ſind, ver¬
ſchämt hängen dazwiſchen wenige Bilder in uralter
Schönheit verſtaubt, die niemand betrachtet, das
Gemeinſte und das Größte, heftig aneinander ge¬
worfen, wird hier zu Wort und Schlag, die
Schwäche wird dreiſt durch den Haufen, das Hohe
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[254/0260] dend, und lachte abſcheulich dabey. — Ah Pah! rief Leontin zornig, das iſt nichts, es muß noch beſſer kommen! Er ſetzte ſich hin und ſang ein al¬ tes Lied aus dem dreyßigjährigen Kriege, deſſen fürchterliche Klänge wie blutige Schwerter durch Mark und Bein giengen. Friedrich bemerkte, daß Romana zitterte. Leontin war indeß wieder aufge¬ ſtanden und hatte ſich aus der Geſellſchaft fortge¬ ſchlichen, wie immer wenn er gerührt war. Wir aber wenden uns ebenfalls von dieſen Blaſen der Phantaſie, die, wie die Blaſen auf dem Rheine, nahes Gewitter bedeuten, zu der Einſamkeit Friedrichs, wie er nun oft Nächtelang voller Ge¬ danken unter Büchern ſaß und arbeitete. Wohl iſt der Weltmarkt großer Städte eine rechte Schule des Ernſtes für beſſere, beſchauliche Gemüther, als der getreueſte Spiegel ihrer Zeit. Da haben ſie den alten gewaltigen Strom in ihre Maſchienen und Räder aufgefangen, daß er nur immer ſchneller und ſchneller fließe, bis er gar abfließt, da ſpreitet denn das arme Fabrikenleben in dem ausgetrockneten Bett ſeine hochmüthigen Teppiche aus, deren inwendige Kehrſeite eckle, kahle, farbloſe Fäden ſind, ver¬ ſchämt hängen dazwiſchen wenige Bilder in uralter Schönheit verſtaubt, die niemand betrachtet, das Gemeinſte und das Größte, heftig aneinander ge¬ worfen, wird hier zu Wort und Schlag, die Schwäche wird dreiſt durch den Haufen, das Hohe ficht allein. Friedrich ſah zum erſtenmale ſo recht in den großen Spiegel, da ſchnitt ihm ein unbe¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/260>, abgerufen am 15.05.2024.