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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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komisch waren. Ihre unbeschreibliche Schönheit zog
ihn aber immer wieder unbezwinglich zu ihr hin,
und so theilte er sein unruhvolles Leben zwischen
Haß und Liebe und allen den heftigsten Leidenschaf¬
ten, während er immerfort in den übrigen Stun¬
den unermüdet und nur um desto eifriger an seinen
großen Gemälden fortarbeitete. -- Ich machte mich
endlich einmal nach der weitentlegenen Stadt auf
den Weg, fuhr der Mann in seiner Erzählung
fort, um die seltsame Wirthschaft meines Sohnes,
von der ich schon so viel gehört hatte, mit eignen
Augen anzuseh'n. Schon unterweges hörte ich von
einem seiner besten Freunde, daß sich manches ver¬
ändert habe. Das Mädchen oder Weib meines
Sohnes habe nemlich von Ohngefähr ein Buch in
die Hände bekommen, worin sie mehrere Tage
unausgesetzt und tiefsinnig gelesen. Keiner ihrer
Liebhaber habe sie seitdem zu sehen bekommen und
sie sey endlich darüber in eine schwere Krankheit
verfallen. Das Buch war kein anderes, als eben
diese Geschichte von der Gräfin Dolores. Als ich in
die Stadt ankomme, eile ich sogleich nach der
Wohnung meines Sohnes. Ich finde niemanden im
ganzen Hause, die Thüren offen, alles öde. Ich
trete in die Stube: das Mädchen lag auf einem
Bette blaß und wie vor Mattigkeit eingeschlafen.
Ich habe niemals etwas Schöneres gesehen. In
dem Zimmer standen fertige und halbvollendete Ge¬
mälde auf Staffeleyen umher, Mahlergeräthschaf¬
ten, Bücher, Kleider, halbbezogene Guitarren,

komiſch waren. Ihre unbeſchreibliche Schönheit zog
ihn aber immer wieder unbezwinglich zu ihr hin,
und ſo theilte er ſein unruhvolles Leben zwiſchen
Haß und Liebe und allen den heftigſten Leidenſchaf¬
ten, während er immerfort in den übrigen Stun¬
den unermüdet und nur um deſto eifriger an ſeinen
großen Gemälden fortarbeitete. — Ich machte mich
endlich einmal nach der weitentlegenen Stadt auf
den Weg, fuhr der Mann in ſeiner Erzählung
fort, um die ſeltſame Wirthſchaft meines Sohnes,
von der ich ſchon ſo viel gehört hatte, mit eignen
Augen anzuſeh'n. Schon unterweges hörte ich von
einem ſeiner beſten Freunde, daß ſich manches ver¬
ändert habe. Das Mädchen oder Weib meines
Sohnes habe nemlich von Ohngefähr ein Buch in
die Hände bekommen, worin ſie mehrere Tage
unausgeſetzt und tiefſinnig geleſen. Keiner ihrer
Liebhaber habe ſie ſeitdem zu ſehen bekommen und
ſie ſey endlich darüber in eine ſchwere Krankheit
verfallen. Das Buch war kein anderes, als eben
dieſe Geſchichte von der Gräfin Dolores. Als ich in
die Stadt ankomme, eile ich ſogleich nach der
Wohnung meines Sohnes. Ich finde niemanden im
ganzen Hauſe, die Thüren offen, alles öde. Ich
trete in die Stube: das Mädchen lag auf einem
Bette blaß und wie vor Mattigkeit eingeſchlafen.
Ich habe niemals etwas Schöneres geſehen. In
dem Zimmer ſtanden fertige und halbvollendete Ge¬
mälde auf Staffeleyen umher, Mahlergeräthſchaf¬
ten, Bücher, Kleider, halbbezogene Guitarren,

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[220/0226] komiſch waren. Ihre unbeſchreibliche Schönheit zog ihn aber immer wieder unbezwinglich zu ihr hin, und ſo theilte er ſein unruhvolles Leben zwiſchen Haß und Liebe und allen den heftigſten Leidenſchaf¬ ten, während er immerfort in den übrigen Stun¬ den unermüdet und nur um deſto eifriger an ſeinen großen Gemälden fortarbeitete. — Ich machte mich endlich einmal nach der weitentlegenen Stadt auf den Weg, fuhr der Mann in ſeiner Erzählung fort, um die ſeltſame Wirthſchaft meines Sohnes, von der ich ſchon ſo viel gehört hatte, mit eignen Augen anzuſeh'n. Schon unterweges hörte ich von einem ſeiner beſten Freunde, daß ſich manches ver¬ ändert habe. Das Mädchen oder Weib meines Sohnes habe nemlich von Ohngefähr ein Buch in die Hände bekommen, worin ſie mehrere Tage unausgeſetzt und tiefſinnig geleſen. Keiner ihrer Liebhaber habe ſie ſeitdem zu ſehen bekommen und ſie ſey endlich darüber in eine ſchwere Krankheit verfallen. Das Buch war kein anderes, als eben dieſe Geſchichte von der Gräfin Dolores. Als ich in die Stadt ankomme, eile ich ſogleich nach der Wohnung meines Sohnes. Ich finde niemanden im ganzen Hauſe, die Thüren offen, alles öde. Ich trete in die Stube: das Mädchen lag auf einem Bette blaß und wie vor Mattigkeit eingeſchlafen. Ich habe niemals etwas Schöneres geſehen. In dem Zimmer ſtanden fertige und halbvollendete Ge¬ mälde auf Staffeleyen umher, Mahlergeräthſchaf¬ ten, Bücher, Kleider, halbbezogene Guitarren,

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/226>, abgerufen am 12.05.2024.