lauf in der Knospe. Willst Du weiter hören, mein Püppchen?
Der Sommer, die bunten Vögel und die Waldhornsklänge zogen nun fort, aber das Bild des schönen Jägers blieb heimlich bey mir den lan¬ gen Winter hindurch. -- Es war an einem von je¬ nen wundervollen Vorfrühlingstagen, wo die ersten Lerchen wieder in der lauen Luft schwirren, ich stand mit meiner Mutter an dem Abhange des Gartens, der Fluß unten war von dem geschmolzenen Schnee ausgetreten und die Gegend weit und breit wie ein großer See zu sehen. Da erblickte ich plötzlich mei¬ nen Jäger wieder gegenüber auf der Höhe. Ich erschrack vor Freude, daß ich am ganzen Leibe zit¬ terte. Er bemerkte mich und hielt meinen Ring an seiner Hand grade auf mich zu, daß der Stein, im Sonnenscheine funkelnd, wunderbar über das Thal herüberblizte. -- Er schien zu uns herüber zu wol¬ len, aber das Wasser hinderte ihn. So ritt er auf verschiedenen Umwegen und kam auf einen tie¬ fen Schlund, vor dem das Pferd sich zögernd bäumte. Endlich wagte es den Sprung, sprang zu kurz und er stürzte in den Abgrund. Als ich das sahe, sprang ich, ohne mich zu besinnen, mit einem Schrey vom Abhange aus dem Garten hinunter. Man trug mich ohnmächtig ins Schloß, und ich sah ihn niemals mehr wieder; aber der Ring blitzt wohl noch jeden Frühling aus der Grüne farbig¬ flammend in mein Herz, und ich werde die Zaube¬ rey nicht los. -- Was sagte denn aber die Mutter
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Der Sommer, die bunten Vögel und die Waldhornsklänge zogen nun fort, aber das Bild des ſchönen Jägers blieb heimlich bey mir den lan¬ gen Winter hindurch. — Es war an einem von je¬ nen wundervollen Vorfrühlingstagen, wo die erſten Lerchen wieder in der lauen Luft ſchwirren, ich ſtand mit meiner Mutter an dem Abhange des Gartens, der Fluß unten war von dem geſchmolzenen Schnee ausgetreten und die Gegend weit und breit wie ein großer See zu ſehen. Da erblickte ich plötzlich mei¬ nen Jäger wieder gegenüber auf der Höhe. Ich erſchrack vor Freude, daß ich am ganzen Leibe zit¬ terte. Er bemerkte mich und hielt meinen Ring an ſeiner Hand grade auf mich zu, daß der Stein, im Sonnenſcheine funkelnd, wunderbar über das Thal herüberblizte. — Er ſchien zu uns herüber zu wol¬ len, aber das Waſſer hinderte ihn. So ritt er auf verſchiedenen Umwegen und kam auf einen tie¬ fen Schlund, vor dem das Pferd ſich zögernd bäumte. Endlich wagte es den Sprung, ſprang zu kurz und er ſtürzte in den Abgrund. Als ich das ſahe, ſprang ich, ohne mich zu beſinnen, mit einem Schrey vom Abhange aus dem Garten hinunter. Man trug mich ohnmächtig ins Schloß, und ich ſah ihn niemals mehr wieder; aber der Ring blitzt wohl noch jeden Frühling aus der Grüne farbig¬ flammend in mein Herz, und ich werde die Zaube¬ rey nicht los. — Was ſagte denn aber die Mutter
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lauf in der Knoſpe. Willſt Du weiter hören, mein
Püppchen?
Der Sommer, die bunten Vögel und die
Waldhornsklänge zogen nun fort, aber das Bild
des ſchönen Jägers blieb heimlich bey mir den lan¬
gen Winter hindurch. — Es war an einem von je¬
nen wundervollen Vorfrühlingstagen, wo die erſten
Lerchen wieder in der lauen Luft ſchwirren, ich ſtand
mit meiner Mutter an dem Abhange des Gartens,
der Fluß unten war von dem geſchmolzenen Schnee
ausgetreten und die Gegend weit und breit wie ein
großer See zu ſehen. Da erblickte ich plötzlich mei¬
nen Jäger wieder gegenüber auf der Höhe. Ich
erſchrack vor Freude, daß ich am ganzen Leibe zit¬
terte. Er bemerkte mich und hielt meinen Ring an
ſeiner Hand grade auf mich zu, daß der Stein, im
Sonnenſcheine funkelnd, wunderbar über das Thal
herüberblizte. — Er ſchien zu uns herüber zu wol¬
len, aber das Waſſer hinderte ihn. So ritt er
auf verſchiedenen Umwegen und kam auf einen tie¬
fen Schlund, vor dem das Pferd ſich zögernd
bäumte. Endlich wagte es den Sprung, ſprang zu
kurz und er ſtürzte in den Abgrund. Als ich das
ſahe, ſprang ich, ohne mich zu beſinnen, mit einem
Schrey vom Abhange aus dem Garten hinunter.
Man trug mich ohnmächtig ins Schloß, und ich ſah
ihn niemals mehr wieder; aber der Ring blitzt
wohl noch jeden Frühling aus der Grüne farbig¬
flammend in mein Herz, und ich werde die Zaube¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/197>, abgerufen am 27.11.2024.
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