Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
Herr Gott, es wacht Dein Wille!
Wie Tag und Lust verweh'n,
Mein Herz wird mir so stille
Und wird nicht untergeh'n.

Sie bemerkten nun einen rothen Schein, der
über dem Schloßhofe zu steh'n schien. Sie hielten
es für einen Feuermann; denn die ganze Zeit hin¬
durch hatten sie rings in der Runde solche Erschei¬
nungen, wie Wachtfeuer lodern gesehen: theils
bläuliche Irrlichter, die im Winde über die Wiesen
streiften, theils grössere Feuergestalten, mit zweifel¬
haftem Glanze durch die Nacht wandelnd. Als sie
aber wieder hinblickten, sahen sie den Feuermann
über dem Schlosse sich langsam dehnen und Riesen¬
groß wachsen, und ein langer Blitz, der so eben
die ganze Gegend beleuchtete, zeigte ihnen, daß der
Schein grade vom Dache ausgieng. Um Gotteswil¬
len, das ist Feuer im Schloß! rief Viktor erblas¬
send, und sie ruderten, ohne ein Wort zu sprechen,
eiligst auf das Ufer zu.

Als sie ans Land kamen, sahen sie bereits ei¬
nen röthlichen Qualm zum Dachfenster hervordringen
und sich in fürchterlichen Kreisen in die Nacht hin¬
auswälzen. Alles im Hause und im Hofe schlief
noch in tiefster Ruhe. Viktor machte Lärm an al¬
len Thüren und Fenstern. Leontin eilte in die Kir¬
che und zog die Sturmglocke, deren abgebrochene,
dumpfe Klänge, die weit über die stillen Berge
hinzogen, ihn selber im Innersten erschütterten.
Der Nachtwächter gieng durch die Gassen des Dor¬

Herr Gott, es wacht Dein Wille!
Wie Tag und Luſt verweh'n,
Mein Herz wird mir ſo ſtille
Und wird nicht untergeh'n.

Sie bemerkten nun einen rothen Schein, der
über dem Schloßhofe zu ſteh'n ſchien. Sie hielten
es für einen Feuermann; denn die ganze Zeit hin¬
durch hatten ſie rings in der Runde ſolche Erſchei¬
nungen, wie Wachtfeuer lodern geſehen: theils
bläuliche Irrlichter, die im Winde über die Wieſen
ſtreiften, theils gröſſere Feuergeſtalten, mit zweifel¬
haftem Glanze durch die Nacht wandelnd. Als ſie
aber wieder hinblickten, ſahen ſie den Feuermann
über dem Schloſſe ſich langſam dehnen und Rieſen¬
groß wachſen, und ein langer Blitz, der ſo eben
die ganze Gegend beleuchtete, zeigte ihnen, daß der
Schein grade vom Dache ausgieng. Um Gotteswil¬
len, das iſt Feuer im Schloß! rief Viktor erblaſ¬
ſend, und ſie ruderten, ohne ein Wort zu ſprechen,
eiligſt auf das Ufer zu.

Als ſie ans Land kamen, ſahen ſie bereits ei¬
nen röthlichen Qualm zum Dachfenſter hervordringen
und ſich in fürchterlichen Kreiſen in die Nacht hin¬
auswälzen. Alles im Hauſe und im Hofe ſchlief
noch in tiefſter Ruhe. Viktor machte Lärm an al¬
len Thüren und Fenſtern. Leontin eilte in die Kir¬
che und zog die Sturmglocke, deren abgebrochene,
dumpfe Klänge, die weit über die ſtillen Berge
hinzogen, ihn ſelber im Innerſten erſchütterten.
Der Nachtwächter gieng durch die Gaſſen des Dor¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0145" n="139"/>
            <lg n="4">
              <l rendition="#et">Herr Gott, es wacht Dein Wille!</l><lb/>
              <l>Wie Tag und Lu&#x017F;t verweh'n,</l><lb/>
              <l>Mein Herz wird mir &#x017F;o &#x017F;tille</l><lb/>
              <l>Und wird nicht untergeh'n.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <p>Sie bemerkten nun einen rothen Schein, der<lb/>
über dem Schloßhofe zu &#x017F;teh'n &#x017F;chien. Sie hielten<lb/>
es für einen Feuermann; denn die ganze Zeit hin¬<lb/>
durch hatten &#x017F;ie rings in der Runde &#x017F;olche Er&#x017F;chei¬<lb/>
nungen, wie Wachtfeuer lodern ge&#x017F;ehen: theils<lb/>
bläuliche Irrlichter, die im Winde über die Wie&#x017F;en<lb/>
&#x017F;treiften, theils grö&#x017F;&#x017F;ere Feuerge&#x017F;talten, mit zweifel¬<lb/>
haftem Glanze durch die Nacht wandelnd. Als &#x017F;ie<lb/>
aber wieder hinblickten, &#x017F;ahen &#x017F;ie den Feuermann<lb/>
über dem Schlo&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich lang&#x017F;am dehnen und Rie&#x017F;en¬<lb/>
groß wach&#x017F;en, und ein langer Blitz, der &#x017F;o eben<lb/>
die ganze Gegend beleuchtete, zeigte ihnen, daß der<lb/>
Schein grade vom Dache ausgieng. Um Gotteswil¬<lb/>
len, das i&#x017F;t Feuer im Schloß! rief Viktor erbla&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;end, und &#x017F;ie ruderten, ohne ein Wort zu &#x017F;prechen,<lb/>
eilig&#x017F;t auf das Ufer zu.</p><lb/>
          <p>Als &#x017F;ie ans Land kamen, &#x017F;ahen &#x017F;ie bereits ei¬<lb/>
nen röthlichen Qualm zum Dachfen&#x017F;ter hervordringen<lb/>
und &#x017F;ich in fürchterlichen Krei&#x017F;en in die Nacht hin¬<lb/>
auswälzen. Alles im Hau&#x017F;e und im Hofe &#x017F;chlief<lb/>
noch in tief&#x017F;ter Ruhe. Viktor machte Lärm an al¬<lb/>
len Thüren und Fen&#x017F;tern. Leontin eilte in die Kir¬<lb/>
che und zog die Sturmglocke, deren abgebrochene,<lb/>
dumpfe Klänge, die weit über die &#x017F;tillen Berge<lb/>
hinzogen, ihn &#x017F;elber im Inner&#x017F;ten er&#x017F;chütterten.<lb/>
Der Nachtwächter gieng durch die Ga&#x017F;&#x017F;en des Dor¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0145] Herr Gott, es wacht Dein Wille! Wie Tag und Luſt verweh'n, Mein Herz wird mir ſo ſtille Und wird nicht untergeh'n. Sie bemerkten nun einen rothen Schein, der über dem Schloßhofe zu ſteh'n ſchien. Sie hielten es für einen Feuermann; denn die ganze Zeit hin¬ durch hatten ſie rings in der Runde ſolche Erſchei¬ nungen, wie Wachtfeuer lodern geſehen: theils bläuliche Irrlichter, die im Winde über die Wieſen ſtreiften, theils gröſſere Feuergeſtalten, mit zweifel¬ haftem Glanze durch die Nacht wandelnd. Als ſie aber wieder hinblickten, ſahen ſie den Feuermann über dem Schloſſe ſich langſam dehnen und Rieſen¬ groß wachſen, und ein langer Blitz, der ſo eben die ganze Gegend beleuchtete, zeigte ihnen, daß der Schein grade vom Dache ausgieng. Um Gotteswil¬ len, das iſt Feuer im Schloß! rief Viktor erblaſ¬ ſend, und ſie ruderten, ohne ein Wort zu ſprechen, eiligſt auf das Ufer zu. Als ſie ans Land kamen, ſahen ſie bereits ei¬ nen röthlichen Qualm zum Dachfenſter hervordringen und ſich in fürchterlichen Kreiſen in die Nacht hin¬ auswälzen. Alles im Hauſe und im Hofe ſchlief noch in tiefſter Ruhe. Viktor machte Lärm an al¬ len Thüren und Fenſtern. Leontin eilte in die Kir¬ che und zog die Sturmglocke, deren abgebrochene, dumpfe Klänge, die weit über die ſtillen Berge hinzogen, ihn ſelber im Innerſten erſchütterten. Der Nachtwächter gieng durch die Gaſſen des Dor¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/145
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/145>, abgerufen am 12.05.2024.