sen, ob sie bleiben oder weitergehen sollte. Endlich kehrte sie zögernd um, und trat zu ihm an's Fen¬ ster. Da bemerkte er Thränen in ihren großen Au¬ gen; sie war ihm noch nie so wunderschön vorge¬ kommen. Liebe Julie! sagte er, und faßte ihre klei¬ ne Hand, die sie gern in der seinigen ließ. Der Wind, der zum Fenster hereinkam, löschte ihr plötz¬ lich das Licht aus. Mit abgewendetem Gesicht sprach sie da einige Worte in die Nacht hinaus, aber so leise und, wie es ihm schien, von verhalte¬ nem Weinen erstickt, daß er nichts verstehen konn¬ te. Er wollte sie fragen, aber sie zog ihre Hand weg und gieng schnell in ihr Schlafzimmer.
Ohne zu wissen, was er davon halten sollte, schaute er voller Gedanken in den finsteren Hof hin¬ unter. Dort sah er Viktor'n auf einem großen Steine sitzen, den Kopf in beyde Hände gestützt; er schien eingeschlafen. Er eilte daher selber in den Hof hinab und nahm die Guitarre mit, die er un¬ ten im Fenster liegend fand. Wir wollen diese Nacht auf dem Teiche herumfahren, sagte er zu Viktor, der indeß aufgewacht war. Dieser war so¬ gleich mit voller Lust von der Parthie, und so zu¬ gen sie zusammen hinaus.
Sie bestiegen den kleinen Kahn, der unweit vom Schlosse im Schilfe angebunden lag, und ru¬ derten bis in die Mitte des Sees. Die ganze Runde war todtenstill, nur einige Nachtvögel pfiffen von Zeit zu Zeit aus dem Walde herüber.
ſen, ob ſie bleiben oder weitergehen ſollte. Endlich kehrte ſie zögernd um, und trat zu ihm an's Fen¬ ſter. Da bemerkte er Thränen in ihren großen Au¬ gen; ſie war ihm noch nie ſo wunderſchön vorge¬ kommen. Liebe Julie! ſagte er, und faßte ihre klei¬ ne Hand, die ſie gern in der ſeinigen ließ. Der Wind, der zum Fenſter hereinkam, löſchte ihr plötz¬ lich das Licht aus. Mit abgewendetem Geſicht ſprach ſie da einige Worte in die Nacht hinaus, aber ſo leiſe und, wie es ihm ſchien, von verhalte¬ nem Weinen erſtickt, daß er nichts verſtehen konn¬ te. Er wollte ſie fragen, aber ſie zog ihre Hand weg und gieng ſchnell in ihr Schlafzimmer.
Ohne zu wiſſen, was er davon halten ſollte, ſchaute er voller Gedanken in den finſteren Hof hin¬ unter. Dort ſah er Viktor'n auf einem großen Steine ſitzen, den Kopf in beyde Hände geſtützt; er ſchien eingeſchlafen. Er eilte daher ſelber in den Hof hinab und nahm die Guitarre mit, die er un¬ ten im Fenſter liegend fand. Wir wollen dieſe Nacht auf dem Teiche herumfahren, ſagte er zu Viktor, der indeß aufgewacht war. Dieſer war ſo¬ gleich mit voller Luſt von der Parthie, und ſo zυ¬ gen ſie zuſammen hinaus.
Sie beſtiegen den kleinen Kahn, der unweit vom Schloſſe im Schilfe angebunden lag, und ru¬ derten bis in die Mitte des Sees. Die ganze Runde war todtenſtill, nur einige Nachtvögel pfiffen von Zeit zu Zeit aus dem Walde herüber.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0141"n="135"/>ſen, ob ſie bleiben oder weitergehen ſollte. Endlich<lb/>
kehrte ſie zögernd um, und trat zu ihm an's Fen¬<lb/>ſter. Da bemerkte er Thränen in ihren großen Au¬<lb/>
gen; ſie war ihm noch nie ſo wunderſchön vorge¬<lb/>
kommen. Liebe Julie! ſagte er, und faßte ihre klei¬<lb/>
ne Hand, die ſie gern in der ſeinigen ließ. Der<lb/>
Wind, der zum Fenſter hereinkam, löſchte ihr plötz¬<lb/>
lich das Licht aus. Mit abgewendetem Geſicht<lb/>ſprach ſie da einige Worte in die Nacht hinaus,<lb/>
aber ſo leiſe und, wie es ihm ſchien, von verhalte¬<lb/>
nem Weinen erſtickt, daß er nichts verſtehen konn¬<lb/>
te. Er wollte ſie fragen, aber ſie zog ihre Hand<lb/>
weg und gieng ſchnell in ihr Schlafzimmer.</p><lb/><p>Ohne zu wiſſen, was er davon halten ſollte,<lb/>ſchaute er voller Gedanken in den finſteren Hof hin¬<lb/>
unter. Dort ſah er Viktor'n auf einem großen<lb/>
Steine ſitzen, den Kopf in beyde Hände geſtützt;<lb/>
er ſchien eingeſchlafen. Er eilte daher ſelber in den<lb/>
Hof hinab und nahm die Guitarre mit, die er un¬<lb/>
ten im Fenſter liegend fand. Wir wollen dieſe<lb/>
Nacht auf dem Teiche herumfahren, ſagte er zu<lb/>
Viktor, der indeß aufgewacht war. Dieſer war ſo¬<lb/>
gleich mit voller Luſt von der Parthie, und ſo zυ¬<lb/>
gen ſie zuſammen hinaus.</p><lb/><p>Sie beſtiegen den kleinen Kahn, der unweit<lb/>
vom Schloſſe im Schilfe angebunden lag, und ru¬<lb/>
derten bis in die Mitte des Sees. Die ganze<lb/>
Runde war todtenſtill, nur einige Nachtvögel<lb/>
pfiffen von Zeit zu Zeit aus dem Walde herüber.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[135/0141]
ſen, ob ſie bleiben oder weitergehen ſollte. Endlich
kehrte ſie zögernd um, und trat zu ihm an's Fen¬
ſter. Da bemerkte er Thränen in ihren großen Au¬
gen; ſie war ihm noch nie ſo wunderſchön vorge¬
kommen. Liebe Julie! ſagte er, und faßte ihre klei¬
ne Hand, die ſie gern in der ſeinigen ließ. Der
Wind, der zum Fenſter hereinkam, löſchte ihr plötz¬
lich das Licht aus. Mit abgewendetem Geſicht
ſprach ſie da einige Worte in die Nacht hinaus,
aber ſo leiſe und, wie es ihm ſchien, von verhalte¬
nem Weinen erſtickt, daß er nichts verſtehen konn¬
te. Er wollte ſie fragen, aber ſie zog ihre Hand
weg und gieng ſchnell in ihr Schlafzimmer.
Ohne zu wiſſen, was er davon halten ſollte,
ſchaute er voller Gedanken in den finſteren Hof hin¬
unter. Dort ſah er Viktor'n auf einem großen
Steine ſitzen, den Kopf in beyde Hände geſtützt;
er ſchien eingeſchlafen. Er eilte daher ſelber in den
Hof hinab und nahm die Guitarre mit, die er un¬
ten im Fenſter liegend fand. Wir wollen dieſe
Nacht auf dem Teiche herumfahren, ſagte er zu
Viktor, der indeß aufgewacht war. Dieſer war ſo¬
gleich mit voller Luſt von der Parthie, und ſo zυ¬
gen ſie zuſammen hinaus.
Sie beſtiegen den kleinen Kahn, der unweit
vom Schloſſe im Schilfe angebunden lag, und ru¬
derten bis in die Mitte des Sees. Die ganze
Runde war todtenſtill, nur einige Nachtvögel
pfiffen von Zeit zu Zeit aus dem Walde herüber.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/141>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.