Es war unterdeß schon spät geworden, die fremden Wagen fuhren unten vor und die Gesell¬ schaft fieng an Abschied zu nehmen und aufzustei¬ gen. In dem allgemeinen Getümmel der Bekom¬ plimentirungen hatte die niedliche Braut noch ein Tuch vergessen. Sie lief daher mit Julien noch ein¬ mal in das Zimmer zurück. Es war niemand mehr darin, nur Leontin, der endlich auch die Masken¬ bande verlassen hatte, kam so eben von der ande¬ ren Seite herein. Das lustige Mädchen versteckte sich schnell, da sie ihn erblickte, hinter die lange Fenster-Gardine und wickelte sich ganz darein, so daß nur die munteren Augen lüstern auffordernd aus dem Schleyer hervorblitzten. Leontin zog das schöne muthwillige Kind heraus und küßte sie auf den rothen Mund. Sie gab ihm schnell einen herz¬ haften Kuß wieder und rannte eiligst zu dem Wa¬ gen zurück, wo man ihrer schon harrte. Ade, Ade! sagte sie noch am Schlage zu Julien, eigentlich aber mehr zu Leontin hingewendet, ihr seht mich nun so bald nicht wieder, gewiß nicht. -- Und sie hielt Wort.
Die Gäste waren nun fort, Herr v. A. und seine Schwester schlafen gegangen, und alles im Schlosse leer und still. Leontin saß oben im Vor¬ saale im offenen Fenster. Draussen zogen Gewitter, man sah es am fernen Horizonte blitzen. Fräulein Julie gieng so eben mit einem Lichte in der Hand über den Hausflur nach ihrer Schlafkammer. Er rief ihr eine gute Nacht zu. Sie war unentschlos¬
Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die fremden Wagen fuhren unten vor und die Geſell¬ ſchaft fieng an Abſchied zu nehmen und aufzuſtei¬ gen. In dem allgemeinen Getümmel der Bekom¬ plimentirungen hatte die niedliche Braut noch ein Tuch vergeſſen. Sie lief daher mit Julien noch ein¬ mal in das Zimmer zurück. Es war niemand mehr darin, nur Leontin, der endlich auch die Maſken¬ bande verlaſſen hatte, kam ſo eben von der ande¬ ren Seite herein. Das luſtige Mädchen verſteckte ſich ſchnell, da ſie ihn erblickte, hinter die lange Fenſter-Gardine und wickelte ſich ganz darein, ſo daß nur die munteren Augen lüſtern auffordernd aus dem Schleyer hervorblitzten. Leontin zog das ſchöne muthwillige Kind heraus und küßte ſie auf den rothen Mund. Sie gab ihm ſchnell einen herz¬ haften Kuß wieder und rannte eiligſt zu dem Wa¬ gen zurück, wo man ihrer ſchon harrte. Ade, Ade! ſagte ſie noch am Schlage zu Julien, eigentlich aber mehr zu Leontin hingewendet, ihr ſeht mich nun ſo bald nicht wieder, gewiß nicht. — Und ſie hielt Wort.
Die Gäſte waren nun fort, Herr v. A. und ſeine Schweſter ſchlafen gegangen, und alles im Schloſſe leer und ſtill. Leontin ſaß oben im Vor¬ ſaale im offenen Fenſter. Drauſſen zogen Gewitter, man ſah es am fernen Horizonte blitzen. Fräulein Julie gieng ſo eben mit einem Lichte in der Hand über den Hausflur nach ihrer Schlafkammer. Er rief ihr eine gute Nacht zu. Sie war unentſchloſ¬
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Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die
fremden Wagen fuhren unten vor und die Geſell¬
ſchaft fieng an Abſchied zu nehmen und aufzuſtei¬
gen. In dem allgemeinen Getümmel der Bekom¬
plimentirungen hatte die niedliche Braut noch ein
Tuch vergeſſen. Sie lief daher mit Julien noch ein¬
mal in das Zimmer zurück. Es war niemand mehr
darin, nur Leontin, der endlich auch die Maſken¬
bande verlaſſen hatte, kam ſo eben von der ande¬
ren Seite herein. Das luſtige Mädchen verſteckte
ſich ſchnell, da ſie ihn erblickte, hinter die lange
Fenſter-Gardine und wickelte ſich ganz darein, ſo
daß nur die munteren Augen lüſtern auffordernd
aus dem Schleyer hervorblitzten. Leontin zog das
ſchöne muthwillige Kind heraus und küßte ſie auf
den rothen Mund. Sie gab ihm ſchnell einen herz¬
haften Kuß wieder und rannte eiligſt zu dem Wa¬
gen zurück, wo man ihrer ſchon harrte. Ade, Ade!
ſagte ſie noch am Schlage zu Julien, eigentlich aber
mehr zu Leontin hingewendet, ihr ſeht mich nun ſo
bald nicht wieder, gewiß nicht. — Und ſie hielt
Wort.
Die Gäſte waren nun fort, Herr v. A. und
ſeine Schweſter ſchlafen gegangen, und alles im
Schloſſe leer und ſtill. Leontin ſaß oben im Vor¬
ſaale im offenen Fenſter. Drauſſen zogen Gewitter,
man ſah es am fernen Horizonte blitzen. Fräulein
Julie gieng ſo eben mit einem Lichte in der Hand
über den Hausflur nach ihrer Schlafkammer. Er
rief ihr eine gute Nacht zu. Sie war unentſchloſ¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/140>, abgerufen am 27.11.2024.
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