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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Unterdeß war die Sonne schon hoch über die
Wipfel des Waldes gestiegen, nur noch hin und
her gaben die Hunde einzelne Laute, kein Schuß
fiel mehr und der Wald wurde auf einmal wieder
still. Die Jäger durchstrichen das Revier und rie¬
fen mit ihren Hüfthörnern die zerstreuten Schützen
von allen Seiten zusammen. So hatte sich nach
und nach die Gesellschaft, ausser Leontin, zusammen¬
gefunden und auf einer großen, schönen Wiese ge¬
lagert, die kühl und luftig zwischen den Waldber¬
gen sich hinstreckte. Mehrere benachbarte Edelleute
waren schon frühmorgens mit ihren Söhnen und
Töchtern im Walde zur Jagd gestossen und ver¬
mehrten nun den Trupp ansehnlich. Die Mädchen
saßen, wie Blumen in einen Teppich gewirkt, mit
ihren bunten Tüchern lustig im Grünen, reinlich
gedeckte Tische mit Eßwaren und Wein standen
schimmernd unter den kühlen Schatten, die Tante
gieng, alles fleißig und mit gutem Sinne ordnend,
umher. Julie hatte, während Friedrichs und Leon¬
tins Aufenthalte auf dem Schlosse, den benachbar¬
ten Fräulein schon manches von den beyden Fremden
geschrieben, vielerley seltsame Dinge hatte der Ruf,
der auf dem Lande alles Fremde um desto hungriger
ergreift, je seltener es ihm kommt, zu ihnen getra¬
gen. Friedrich'n hatten sie nun kennen gelernt,
aber seine ruhige, einfache Sitte befriedigte die jun¬
gen, neugierigen Seelen keineswegs. Und doch
hatte ihnen Julie immer nur von ihm mit so vieler
Wärme und Ausführlichkeit geschrieben, Leontinen

Unterdeß war die Sonne ſchon hoch über die
Wipfel des Waldes geſtiegen, nur noch hin und
her gaben die Hunde einzelne Laute, kein Schuß
fiel mehr und der Wald wurde auf einmal wieder
ſtill. Die Jäger durchſtrichen das Revier und rie¬
fen mit ihren Hüfthörnern die zerſtreuten Schützen
von allen Seiten zuſammen. So hatte ſich nach
und nach die Geſellſchaft, auſſer Leontin, zuſammen¬
gefunden und auf einer großen, ſchönen Wieſe ge¬
lagert, die kühl und luftig zwiſchen den Waldber¬
gen ſich hinſtreckte. Mehrere benachbarte Edelleute
waren ſchon frühmorgens mit ihren Söhnen und
Töchtern im Walde zur Jagd geſtoſſen und ver¬
mehrten nun den Trupp anſehnlich. Die Mädchen
ſaßen, wie Blumen in einen Teppich gewirkt, mit
ihren bunten Tüchern luſtig im Grünen, reinlich
gedeckte Tiſche mit Eßwaren und Wein ſtanden
ſchimmernd unter den kühlen Schatten, die Tante
gieng, alles fleißig und mit gutem Sinne ordnend,
umher. Julie hatte, während Friedrichs und Leon¬
tins Aufenthalte auf dem Schloſſe, den benachbar¬
ten Fräulein ſchon manches von den beyden Fremden
geſchrieben, vielerley ſeltſame Dinge hatte der Ruf,
der auf dem Lande alles Fremde um deſto hungriger
ergreift, je ſeltener es ihm kommt, zu ihnen getra¬
gen. Friedrich'n hatten ſie nun kennen gelernt,
aber ſeine ruhige, einfache Sitte befriedigte die jun¬
gen, neugierigen Seelen keineswegs. Und doch
hatte ihnen Julie immer nur von ihm mit ſo vieler
Wärme und Ausführlichkeit geſchrieben, Leontinen

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[123/0129] Unterdeß war die Sonne ſchon hoch über die Wipfel des Waldes geſtiegen, nur noch hin und her gaben die Hunde einzelne Laute, kein Schuß fiel mehr und der Wald wurde auf einmal wieder ſtill. Die Jäger durchſtrichen das Revier und rie¬ fen mit ihren Hüfthörnern die zerſtreuten Schützen von allen Seiten zuſammen. So hatte ſich nach und nach die Geſellſchaft, auſſer Leontin, zuſammen¬ gefunden und auf einer großen, ſchönen Wieſe ge¬ lagert, die kühl und luftig zwiſchen den Waldber¬ gen ſich hinſtreckte. Mehrere benachbarte Edelleute waren ſchon frühmorgens mit ihren Söhnen und Töchtern im Walde zur Jagd geſtoſſen und ver¬ mehrten nun den Trupp anſehnlich. Die Mädchen ſaßen, wie Blumen in einen Teppich gewirkt, mit ihren bunten Tüchern luſtig im Grünen, reinlich gedeckte Tiſche mit Eßwaren und Wein ſtanden ſchimmernd unter den kühlen Schatten, die Tante gieng, alles fleißig und mit gutem Sinne ordnend, umher. Julie hatte, während Friedrichs und Leon¬ tins Aufenthalte auf dem Schloſſe, den benachbar¬ ten Fräulein ſchon manches von den beyden Fremden geſchrieben, vielerley ſeltſame Dinge hatte der Ruf, der auf dem Lande alles Fremde um deſto hungriger ergreift, je ſeltener es ihm kommt, zu ihnen getra¬ gen. Friedrich'n hatten ſie nun kennen gelernt, aber ſeine ruhige, einfache Sitte befriedigte die jun¬ gen, neugierigen Seelen keineswegs. Und doch hatte ihnen Julie immer nur von ihm mit ſo vieler Wärme und Ausführlichkeit geſchrieben, Leontinen

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/129>, abgerufen am 27.11.2024.