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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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weit in die Wälder hineinschallte. Das Fräulein
lehnte sich zum Wagen hinaus. Da reitet Er! rief
sie auf einmal hastig. -- Zum Glücke rollte der Wa¬
gen zu schnell hinab, und die Tante hatte es nicht
gehört.

Am folgenden Morgen, da die Gesellschaft zur
Jagd aufbrach, war Leontin schon lange draussen im
Walde. Er hatte sich von den Jägern im allge¬
meinen die Gegend bezeichnen lassen, wo die Jagd
gehalten werden sollte, und war noch vor Tages¬
anbruch allein vorausgeritten. Denn ihm waren alle
die weitläufigen und schulgerechten Zurüstungen, die
einer solchen allgemeinen Jagd immer vorherzugehen
pflegen, in den Tod verhaßt. Er durchstrich daher
an dem frischen Morgen allein die einsame Heyde,
wo ihn oft plötzlich durch eine Lichtung des Waldes
die herrlichsten Aussichten überraschten und Stunden¬
lang festbannten. So folgte er dem lustigen Jagd¬
gewirre immer von weitem nach. Und wie unter
ihm die Wälder rauchten, hin und wieder Schüße
fielen und zwischen dem Gebell der Hunde die Hör¬
ner von Zeit zu Zeit ertönten, da dichtete seine fri¬
sche Seele unaufhörlich seltsame Lieder, die er so¬
gleich sang, ohne jemals ein einziges aufzuzeichnen.
Denn was er aufschrieb, daran verlohr er sogleich
die freye, unbestimmte Lust. Es war, als bräche
das Wort unter seiner Hand die luftigen Schwin¬
gen. Er beherrschte nicht, wie der besonnene Dich¬
ter, das gewaltige Element der Poesie, der Glück¬
liche wurde von ihr beherrscht.

weit in die Wälder hineinſchallte. Das Fräulein
lehnte ſich zum Wagen hinaus. Da reitet Er! rief
ſie auf einmal haſtig. — Zum Glücke rollte der Wa¬
gen zu ſchnell hinab, und die Tante hatte es nicht
gehört.

Am folgenden Morgen, da die Geſellſchaft zur
Jagd aufbrach, war Leontin ſchon lange drauſſen im
Walde. Er hatte ſich von den Jägern im allge¬
meinen die Gegend bezeichnen laſſen, wo die Jagd
gehalten werden ſollte, und war noch vor Tages¬
anbruch allein vorausgeritten. Denn ihm waren alle
die weitläufigen und ſchulgerechten Zurüſtungen, die
einer ſolchen allgemeinen Jagd immer vorherzugehen
pflegen, in den Tod verhaßt. Er durchſtrich daher
an dem friſchen Morgen allein die einſame Heyde,
wo ihn oft plötzlich durch eine Lichtung des Waldes
die herrlichſten Ausſichten überraſchten und Stunden¬
lang feſtbannten. So folgte er dem luſtigen Jagd¬
gewirre immer von weitem nach. Und wie unter
ihm die Wälder rauchten, hin und wieder Schüße
fielen und zwiſchen dem Gebell der Hunde die Hör¬
ner von Zeit zu Zeit ertönten, da dichtete ſeine fri¬
ſche Seele unaufhörlich ſeltſame Lieder, die er ſo¬
gleich ſang, ohne jemals ein einziges aufzuzeichnen.
Denn was er aufſchrieb, daran verlohr er ſogleich
die freye, unbeſtimmte Luſt. Es war, als bräche
das Wort unter ſeiner Hand die luftigen Schwin¬
gen. Er beherrſchte nicht, wie der beſonnene Dich¬
ter, das gewaltige Element der Poeſie, der Glück¬
liche wurde von ihr beherrſcht.

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[122/0128] weit in die Wälder hineinſchallte. Das Fräulein lehnte ſich zum Wagen hinaus. Da reitet Er! rief ſie auf einmal haſtig. — Zum Glücke rollte der Wa¬ gen zu ſchnell hinab, und die Tante hatte es nicht gehört. Am folgenden Morgen, da die Geſellſchaft zur Jagd aufbrach, war Leontin ſchon lange drauſſen im Walde. Er hatte ſich von den Jägern im allge¬ meinen die Gegend bezeichnen laſſen, wo die Jagd gehalten werden ſollte, und war noch vor Tages¬ anbruch allein vorausgeritten. Denn ihm waren alle die weitläufigen und ſchulgerechten Zurüſtungen, die einer ſolchen allgemeinen Jagd immer vorherzugehen pflegen, in den Tod verhaßt. Er durchſtrich daher an dem friſchen Morgen allein die einſame Heyde, wo ihn oft plötzlich durch eine Lichtung des Waldes die herrlichſten Ausſichten überraſchten und Stunden¬ lang feſtbannten. So folgte er dem luſtigen Jagd¬ gewirre immer von weitem nach. Und wie unter ihm die Wälder rauchten, hin und wieder Schüße fielen und zwiſchen dem Gebell der Hunde die Hör¬ ner von Zeit zu Zeit ertönten, da dichtete ſeine fri¬ ſche Seele unaufhörlich ſeltſame Lieder, die er ſo¬ gleich ſang, ohne jemals ein einziges aufzuzeichnen. Denn was er aufſchrieb, daran verlohr er ſogleich die freye, unbeſtimmte Luſt. Es war, als bräche das Wort unter ſeiner Hand die luftigen Schwin¬ gen. Er beherrſchte nicht, wie der beſonnene Dich¬ ter, das gewaltige Element der Poeſie, der Glück¬ liche wurde von ihr beherrſcht.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/128>, abgerufen am 27.11.2024.