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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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schem Wams nemlich, himmelblau mit goldenen
Kettchen, umschloß den schlanken Körper des Knaben.
Den weißen Hals trug er bloß, ein zierlicher Kra¬
gen umgab den schönen Kopf, der mit seinen dunk¬
len Locken und schwarzen Augen wie eine Blume
über dem bunten Schmucke ruhte. Da Friedrich
hier weniger zerstreut war, als sonst, so widmete
er auch dem Knaben eine besondere Aufmerksamkeit.
Er entdeckte in wenigen Gesprächen bald an Schär¬
fe und Tiefe eine auffallende Aehnlichkeit seines Ge¬
müthes mit Julien. Nur mangelte bey Erwin das
ruhige Gleichgewicht der Kräfte, die alles beleuch¬
tende Klarheit ganz und gar. Im verborgensten
Grunde der Seele schien vielmehr eine geheimni߬
volle Leidenschaftlichkeit zu ruhen, die alles ver¬
wirrte und am Ende zu zerstören drohte. Mit Er¬
staunen bemerkte Friedrich zugleich, daß es dem
Knaben durchaus an allem Unterrichte in der Reli¬
gion gebreche. Er suchte daher seine frühesten Le¬
bensumstände zu erforschen, aber der Knabe be¬
harrte mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit, ja mit ei¬
ner Art von Todesangst auf seinem Stillschweigen
über diesen Punkt. Friedrich ließ es sich nun
ernstlich angelegen seyn, ihn im Christenthume zu
unterrichten. Alle Morgen, wenn die Natur in
ihrer Pracht vor ihnen ausgebreitet lag, saß er mit
ihm im Garten, und machte ihn mit dem großen
Wunderreichen Lebenswandel des Erlösers bekannt,
und fand, ganz dem Gange der Zeit zuwider, das
Gemüth des Knaben weit empfänglicher für das

ſchem Wams nemlich, himmelblau mit goldenen
Kettchen, umſchloß den ſchlanken Körper des Knaben.
Den weißen Hals trug er bloß, ein zierlicher Kra¬
gen umgab den ſchönen Kopf, der mit ſeinen dunk¬
len Locken und ſchwarzen Augen wie eine Blume
über dem bunten Schmucke ruhte. Da Friedrich
hier weniger zerſtreut war, als ſonſt, ſo widmete
er auch dem Knaben eine beſondere Aufmerkſamkeit.
Er entdeckte in wenigen Geſprächen bald an Schär¬
fe und Tiefe eine auffallende Aehnlichkeit ſeines Ge¬
müthes mit Julien. Nur mangelte bey Erwin das
ruhige Gleichgewicht der Kräfte, die alles beleuch¬
tende Klarheit ganz und gar. Im verborgenſten
Grunde der Seele ſchien vielmehr eine geheimni߬
volle Leidenſchaftlichkeit zu ruhen, die alles ver¬
wirrte und am Ende zu zerſtören drohte. Mit Er¬
ſtaunen bemerkte Friedrich zugleich, daß es dem
Knaben durchaus an allem Unterrichte in der Reli¬
gion gebreche. Er ſuchte daher ſeine früheſten Le¬
bensumſtände zu erforſchen, aber der Knabe be¬
harrte mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit, ja mit ei¬
ner Art von Todesangſt auf ſeinem Stillſchweigen
über dieſen Punkt. Friedrich ließ es ſich nun
ernſtlich angelegen ſeyn, ihn im Chriſtenthume zu
unterrichten. Alle Morgen, wenn die Natur in
ihrer Pracht vor ihnen ausgebreitet lag, ſaß er mit
ihm im Garten, und machte ihn mit dem großen
Wunderreichen Lebenswandel des Erlöſers bekannt,
und fand, ganz dem Gange der Zeit zuwider, das
Gemüth des Knaben weit empfänglicher für das

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[117/0123] ſchem Wams nemlich, himmelblau mit goldenen Kettchen, umſchloß den ſchlanken Körper des Knaben. Den weißen Hals trug er bloß, ein zierlicher Kra¬ gen umgab den ſchönen Kopf, der mit ſeinen dunk¬ len Locken und ſchwarzen Augen wie eine Blume über dem bunten Schmucke ruhte. Da Friedrich hier weniger zerſtreut war, als ſonſt, ſo widmete er auch dem Knaben eine beſondere Aufmerkſamkeit. Er entdeckte in wenigen Geſprächen bald an Schär¬ fe und Tiefe eine auffallende Aehnlichkeit ſeines Ge¬ müthes mit Julien. Nur mangelte bey Erwin das ruhige Gleichgewicht der Kräfte, die alles beleuch¬ tende Klarheit ganz und gar. Im verborgenſten Grunde der Seele ſchien vielmehr eine geheimni߬ volle Leidenſchaftlichkeit zu ruhen, die alles ver¬ wirrte und am Ende zu zerſtören drohte. Mit Er¬ ſtaunen bemerkte Friedrich zugleich, daß es dem Knaben durchaus an allem Unterrichte in der Reli¬ gion gebreche. Er ſuchte daher ſeine früheſten Le¬ bensumſtände zu erforſchen, aber der Knabe be¬ harrte mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit, ja mit ei¬ ner Art von Todesangſt auf ſeinem Stillſchweigen über dieſen Punkt. Friedrich ließ es ſich nun ernſtlich angelegen ſeyn, ihn im Chriſtenthume zu unterrichten. Alle Morgen, wenn die Natur in ihrer Pracht vor ihnen ausgebreitet lag, ſaß er mit ihm im Garten, und machte ihn mit dem großen Wunderreichen Lebenswandel des Erlöſers bekannt, und fand, ganz dem Gange der Zeit zuwider, das Gemüth des Knaben weit empfänglicher für das

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/123>, abgerufen am 27.11.2024.