chend in's Wort, sprichst du doch, als wärst du von neuem verliebt. Aber du hast ganz recht, mir ist eben so zu Muthe, und es ist nur schade um ein redliches Herz, das durch eine immerwährende Täuschung so entherzt wird. Denn wenn in jene schöne, ungewisse Nacht der ersten Bekanntschaft nach und nach der Tag anfängt herüberzuschielen und die nüchternen Hähne krähen, da schleicht ein wunderbarer Geist nach dem anderen abseits; was in der Nacht wie ein dunkler Riese dastand, wird ein krummer Baum, das Thal, das aussah wie eine umgeworfene, uralte römische Stadt, wird ein ge¬ meines Ackerfeld und das ganze Mährchen nimmt ein schaales Ende. Ich konnte so fromm seyn, wie ein Lämmchen und niemals eine Anwandlung von Witz verspüren, wenn nicht alles so dumm gienge. -- Friedrich sagte darauf: Nimm dich in Acht mit deinem Uebermuthe! Es ist leicht und ange¬ nehm, zu verspotten, aber mitten in der Täuschung den großen, herrlichen Glauben an das Bessere fest zu halten, und die anderen mit feurigen Armen em¬ porzuheben, das gab Gott nur seinen liebsten Söh¬ nen. -- Ich sage dir in vollem Ernst, erwiederte Leontin ungemein liebenswürdig, du wirst mich noch einmal ganz belehren, du seltsamer Mensch. Gott weiß es wohl, mir fehlt noch viel, daß ich gut wäre. --
Am Morgen strahlte die Gegend in einem zau¬ berischen Glanze in ihre Fenster herauf. Sie eilten in den Garten hinab, wo sie nicht wenig über die
chend in's Wort, ſprichſt du doch, als wärſt du von neuem verliebt. Aber du haſt ganz recht, mir iſt eben ſo zu Muthe, und es iſt nur ſchade um ein redliches Herz, das durch eine immerwährende Täuſchung ſo entherzt wird. Denn wenn in jene ſchöne, ungewiſſe Nacht der erſten Bekanntſchaft nach und nach der Tag anfängt herüberzuſchielen und die nüchternen Hähne krähen, da ſchleicht ein wunderbarer Geiſt nach dem anderen abſeits; was in der Nacht wie ein dunkler Rieſe daſtand, wird ein krummer Baum, das Thal, das ausſah wie eine umgeworfene, uralte römiſche Stadt, wird ein ge¬ meines Ackerfeld und das ganze Mährchen nimmt ein ſchaales Ende. Ich konnte ſo fromm ſeyn, wie ein Lämmchen und niemals eine Anwandlung von Witz verſpüren, wenn nicht alles ſo dumm gienge. — Friedrich ſagte darauf: Nimm dich in Acht mit deinem Uebermuthe! Es iſt leicht und ange¬ nehm, zu verſpotten, aber mitten in der Täuſchung den großen, herrlichen Glauben an das Beſſere feſt zu halten, und die anderen mit feurigen Armen em¬ porzuheben, das gab Gott nur ſeinen liebſten Söh¬ nen. — Ich ſage dir in vollem Ernſt, erwiederte Leontin ungemein liebenswürdig, du wirſt mich noch einmal ganz belehren, du ſeltſamer Menſch. Gott weiß es wohl, mir fehlt noch viel, daß ich gut wäre. —
Am Morgen ſtrahlte die Gegend in einem zau¬ beriſchen Glanze in ihre Fenſter herauf. Sie eilten in den Garten hinab, wo ſie nicht wenig über die
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chend in's Wort, ſprichſt du doch, als wärſt du
von neuem verliebt. Aber du haſt ganz recht, mir
iſt eben ſo zu Muthe, und es iſt nur ſchade um
ein redliches Herz, das durch eine immerwährende
Täuſchung ſo entherzt wird. Denn wenn in jene
ſchöne, ungewiſſe Nacht der erſten Bekanntſchaft
nach und nach der Tag anfängt herüberzuſchielen
und die nüchternen Hähne krähen, da ſchleicht ein
wunderbarer Geiſt nach dem anderen abſeits; was
in der Nacht wie ein dunkler Rieſe daſtand, wird
ein krummer Baum, das Thal, das ausſah wie eine
umgeworfene, uralte römiſche Stadt, wird ein ge¬
meines Ackerfeld und das ganze Mährchen nimmt
ein ſchaales Ende. Ich konnte ſo fromm ſeyn, wie
ein Lämmchen und niemals eine Anwandlung von
Witz verſpüren, wenn nicht alles ſo dumm gienge.
— Friedrich ſagte darauf: Nimm dich in Acht
mit deinem Uebermuthe! Es iſt leicht und ange¬
nehm, zu verſpotten, aber mitten in der Täuſchung
den großen, herrlichen Glauben an das Beſſere feſt
zu halten, und die anderen mit feurigen Armen em¬
porzuheben, das gab Gott nur ſeinen liebſten Söh¬
nen. — Ich ſage dir in vollem Ernſt, erwiederte
Leontin ungemein liebenswürdig, du wirſt mich noch
einmal ganz belehren, du ſeltſamer Menſch. Gott
weiß es wohl, mir fehlt noch viel, daß ich gut
wäre. —
Am Morgen ſtrahlte die Gegend in einem zau¬
beriſchen Glanze in ihre Fenſter herauf. Sie eilten
in den Garten hinab, wo ſie nicht wenig über die
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/117>, abgerufen am 27.11.2024.
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