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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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gemischt und sämmtlich wie aus einer unlängst ver¬
gangenen Zeit.

Der Tisch in dem großen, geräumigen Tafel¬
zimmer wurde gedeckt und man sezte sich bald fröh¬
lich zum Abendessen. Die Unterhaltung blieb an¬
fangs ziemlich stockend, steif und gezwungen, wie
dieß jederzeit in solchen Häusern der Fall ist, wo,
aus Mangel an vielseitigen, allgemeinen Berüh¬
rungen mit der Auswelt, eine gewisse feste, unge¬
lenke Gewohnheit des Lebens Wurzel geschlagen
hat, die durch das plötzliche Eindringen wildfrem¬
der Erscheinungen, auf die ihr ewig gleichförmiger
Gang nicht berechnet ist, immer eher verstimmt als
umgestimmt wird. Herr v. A., ein langer, ernster
Mann, in seiner Kleidung fast pedantisch, sprach
wenig. Desto mehr führte seine Schwester das
hohe Wort. Sie war eine lebhafte, regsame Frau,
wie man zu sagen pflegt, in den besten Jahren,
eigentlich aber grade in den schlimmsten. Denn
ihre Gestalt und unverkennbar schönen Gesichtszüge
fiengen so eben an, auf ein vergangenes Reich zu
deuten. In dieser gefährlichen Sonnenwende steigt
die Schönheit mürrisch, launisch und zankend von
ihrem irdischen Throne, wo sie ein halbes Leben
lang geherrscht, in die öde, Freudenlose Zukunft,
wie in's Grab. Wohl denen seltenen größeren
Frauen, welche die Zeit nicht versäumten, sondern
im ruhigen, gesammelten Gemüthe sich eine andere
Welt der Religion und Sanftmuth erbauten! Sie
verwechseln nur die Thronen und werden ewig lie¬
ben und geliebt werden.

gemiſcht und ſämmtlich wie aus einer unlängſt ver¬
gangenen Zeit.

Der Tiſch in dem großen, geräumigen Tafel¬
zimmer wurde gedeckt und man ſezte ſich bald fröh¬
lich zum Abendeſſen. Die Unterhaltung blieb an¬
fangs ziemlich ſtockend, ſteif und gezwungen, wie
dieß jederzeit in ſolchen Häuſern der Fall iſt, wo,
aus Mangel an vielſeitigen, allgemeinen Berüh¬
rungen mit der Auswelt, eine gewiſſe feſte, unge¬
lenke Gewohnheit des Lebens Wurzel geſchlagen
hat, die durch das plötzliche Eindringen wildfrem¬
der Erſcheinungen, auf die ihr ewig gleichförmiger
Gang nicht berechnet iſt, immer eher verſtimmt als
umgeſtimmt wird. Herr v. A., ein langer, ernſter
Mann, in ſeiner Kleidung faſt pedantiſch, ſprach
wenig. Deſto mehr führte ſeine Schweſter das
hohe Wort. Sie war eine lebhafte, regſame Frau,
wie man zu ſagen pflegt, in den beſten Jahren,
eigentlich aber grade in den ſchlimmſten. Denn
ihre Geſtalt und unverkennbar ſchönen Geſichtszüge
fiengen ſo eben an, auf ein vergangenes Reich zu
deuten. In dieſer gefährlichen Sonnenwende ſteigt
die Schönheit mürriſch, launiſch und zankend von
ihrem irdiſchen Throne, wo ſie ein halbes Leben
lang geherrſcht, in die öde, Freudenloſe Zukunft,
wie in's Grab. Wohl denen ſeltenen größeren
Frauen, welche die Zeit nicht verſäumten, ſondern
im ruhigen, geſammelten Gemüthe ſich eine andere
Welt der Religion und Sanftmuth erbauten! Sie
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ben und geliebt werden.

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[107/0113] gemiſcht und ſämmtlich wie aus einer unlängſt ver¬ gangenen Zeit. Der Tiſch in dem großen, geräumigen Tafel¬ zimmer wurde gedeckt und man ſezte ſich bald fröh¬ lich zum Abendeſſen. Die Unterhaltung blieb an¬ fangs ziemlich ſtockend, ſteif und gezwungen, wie dieß jederzeit in ſolchen Häuſern der Fall iſt, wo, aus Mangel an vielſeitigen, allgemeinen Berüh¬ rungen mit der Auswelt, eine gewiſſe feſte, unge¬ lenke Gewohnheit des Lebens Wurzel geſchlagen hat, die durch das plötzliche Eindringen wildfrem¬ der Erſcheinungen, auf die ihr ewig gleichförmiger Gang nicht berechnet iſt, immer eher verſtimmt als umgeſtimmt wird. Herr v. A., ein langer, ernſter Mann, in ſeiner Kleidung faſt pedantiſch, ſprach wenig. Deſto mehr führte ſeine Schweſter das hohe Wort. Sie war eine lebhafte, regſame Frau, wie man zu ſagen pflegt, in den beſten Jahren, eigentlich aber grade in den ſchlimmſten. Denn ihre Geſtalt und unverkennbar ſchönen Geſichtszüge fiengen ſo eben an, auf ein vergangenes Reich zu deuten. In dieſer gefährlichen Sonnenwende ſteigt die Schönheit mürriſch, launiſch und zankend von ihrem irdiſchen Throne, wo ſie ein halbes Leben lang geherrſcht, in die öde, Freudenloſe Zukunft, wie in's Grab. Wohl denen ſeltenen größeren Frauen, welche die Zeit nicht verſäumten, ſondern im ruhigen, geſammelten Gemüthe ſich eine andere Welt der Religion und Sanftmuth erbauten! Sie verwechſeln nur die Thronen und werden ewig lie¬ ben und geliebt werden.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/113>, abgerufen am 27.11.2024.