Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Singen und Wirren verschiedener Stimmen lenkte
bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen
Landschaft vor ihnen ab, und sie erblickten seitwärts
in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld,
wo man so eben mit der Erndte begriffen war.
Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte lustig
durcheinander, der laute Ruf der Merker erschallte
von Zeit zu Zeit dazwischen, und schwerbeladene
Wagen zogen langsam und knarrend dem Dorfe zu.
Im Hintergrunde dieses Gewimmels sah man eine
bunte Gruppe von vornehmeren Personen gelagert,
die den Arbeitern zusahen und unter denen Leontin
sogleich das schöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬
ten unter ihnen ragte eine höchstseltsame Figur her¬
vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen,
weißen Mantel saß auf einem hochbeinigten Schim¬
mel, der den Kopf fast auf die Erde hängen ließ.
Von dieser seiner Rosinante theilte die abentheuer¬
liche Gestalt, im Tone einer Predigt, Befehle an
die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬
lächter erfolgte.

Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß
jene Zuschauer die Herrschaft des Ortes seyen,
und da sie bemerkten, daß bereits alle Augen auf
sie gerichtet waren, so übergaben sie ihre Pferde an
Erwin und eilten, sich selber der Gesellschaft vor¬
zustellen. Herr v. A. und seine Schwester, die sich
seit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬
hielt, erinnerten sich sogleich der ehemaligen freund¬
schaftlichen Verhältnisse, zwischen den beyden Häu¬

Singen und Wirren verſchiedener Stimmen lenkte
bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen
Landſchaft vor ihnen ab, und ſie erblickten ſeitwärts
in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld,
wo man ſo eben mit der Erndte begriffen war.
Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte luſtig
durcheinander, der laute Ruf der Merker erſchallte
von Zeit zu Zeit dazwiſchen, und ſchwerbeladene
Wagen zogen langſam und knarrend dem Dorfe zu.
Im Hintergrunde dieſes Gewimmels ſah man eine
bunte Gruppe von vornehmeren Perſonen gelagert,
die den Arbeitern zuſahen und unter denen Leontin
ſogleich das ſchöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬
ten unter ihnen ragte eine höchſtſeltſame Figur her¬
vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen,
weißen Mantel ſaß auf einem hochbeinigten Schim¬
mel, der den Kopf faſt auf die Erde hängen ließ.
Von dieſer ſeiner Roſinante theilte die abentheuer¬
liche Geſtalt, im Tone einer Predigt, Befehle an
die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬
lächter erfolgte.

Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß
jene Zuſchauer die Herrſchaft des Ortes ſeyen,
und da ſie bemerkten, daß bereits alle Augen auf
ſie gerichtet waren, ſo übergaben ſie ihre Pferde an
Erwin und eilten, ſich ſelber der Geſellſchaft vor¬
zuſtellen. Herr v. A. und ſeine Schweſter, die ſich
ſeit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬
hielt, erinnerten ſich ſogleich der ehemaligen freund¬
ſchaftlichen Verhältniſſe, zwiſchen den beyden Häu¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0110" n="104"/>
Singen und Wirren ver&#x017F;chiedener Stimmen lenkte<lb/>
bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen<lb/>
Land&#x017F;chaft vor ihnen ab, und &#x017F;ie erblickten &#x017F;eitwärts<lb/>
in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld,<lb/>
wo man &#x017F;o eben mit der Erndte begriffen war.<lb/>
Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte lu&#x017F;tig<lb/>
durcheinander, der laute Ruf der Merker er&#x017F;challte<lb/>
von Zeit zu Zeit dazwi&#x017F;chen, und &#x017F;chwerbeladene<lb/>
Wagen zogen lang&#x017F;am und knarrend dem Dorfe zu.<lb/>
Im Hintergrunde die&#x017F;es Gewimmels &#x017F;ah man eine<lb/>
bunte Gruppe von vornehmeren Per&#x017F;onen gelagert,<lb/>
die den Arbeitern zu&#x017F;ahen und unter denen Leontin<lb/>
&#x017F;ogleich das &#x017F;chöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬<lb/>
ten unter ihnen ragte eine höch&#x017F;t&#x017F;elt&#x017F;ame Figur her¬<lb/>
vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen,<lb/>
weißen Mantel &#x017F;aß auf einem hochbeinigten Schim¬<lb/>
mel, der den Kopf fa&#x017F;t auf die Erde hängen ließ.<lb/>
Von die&#x017F;er &#x017F;einer Ro&#x017F;inante theilte die abentheuer¬<lb/>
liche Ge&#x017F;talt, im Tone einer Predigt, Befehle an<lb/>
die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬<lb/>
lächter erfolgte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Leontin</hi> und <hi rendition="#g">Friedrich</hi> zweifelten nicht, daß<lb/>
jene Zu&#x017F;chauer die Herr&#x017F;chaft des Ortes &#x017F;eyen,<lb/>
und da &#x017F;ie bemerkten, daß bereits alle Augen auf<lb/>
&#x017F;ie gerichtet waren, &#x017F;o übergaben &#x017F;ie ihre Pferde an<lb/>
Erwin und eilten, &#x017F;ich &#x017F;elber der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft vor¬<lb/>
zu&#x017F;tellen. Herr v. A. und &#x017F;eine Schwe&#x017F;ter, die &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;eit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬<lb/>
hielt, erinnerten &#x017F;ich &#x017F;ogleich der ehemaligen freund¬<lb/>
&#x017F;chaftlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e, zwi&#x017F;chen den beyden Häu¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0110] Singen und Wirren verſchiedener Stimmen lenkte bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen Landſchaft vor ihnen ab, und ſie erblickten ſeitwärts in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld, wo man ſo eben mit der Erndte begriffen war. Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte luſtig durcheinander, der laute Ruf der Merker erſchallte von Zeit zu Zeit dazwiſchen, und ſchwerbeladene Wagen zogen langſam und knarrend dem Dorfe zu. Im Hintergrunde dieſes Gewimmels ſah man eine bunte Gruppe von vornehmeren Perſonen gelagert, die den Arbeitern zuſahen und unter denen Leontin ſogleich das ſchöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬ ten unter ihnen ragte eine höchſtſeltſame Figur her¬ vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen, weißen Mantel ſaß auf einem hochbeinigten Schim¬ mel, der den Kopf faſt auf die Erde hängen ließ. Von dieſer ſeiner Roſinante theilte die abentheuer¬ liche Geſtalt, im Tone einer Predigt, Befehle an die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬ lächter erfolgte. Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß jene Zuſchauer die Herrſchaft des Ortes ſeyen, und da ſie bemerkten, daß bereits alle Augen auf ſie gerichtet waren, ſo übergaben ſie ihre Pferde an Erwin und eilten, ſich ſelber der Geſellſchaft vor¬ zuſtellen. Herr v. A. und ſeine Schweſter, die ſich ſeit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬ hielt, erinnerten ſich ſogleich der ehemaligen freund¬ ſchaftlichen Verhältniſſe, zwiſchen den beyden Häu¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/110
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/110>, abgerufen am 27.11.2024.