Singen und Wirren verschiedener Stimmen lenkte bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen Landschaft vor ihnen ab, und sie erblickten seitwärts in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld, wo man so eben mit der Erndte begriffen war. Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte lustig durcheinander, der laute Ruf der Merker erschallte von Zeit zu Zeit dazwischen, und schwerbeladene Wagen zogen langsam und knarrend dem Dorfe zu. Im Hintergrunde dieses Gewimmels sah man eine bunte Gruppe von vornehmeren Personen gelagert, die den Arbeitern zusahen und unter denen Leontin sogleich das schöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬ ten unter ihnen ragte eine höchstseltsame Figur her¬ vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen, weißen Mantel saß auf einem hochbeinigten Schim¬ mel, der den Kopf fast auf die Erde hängen ließ. Von dieser seiner Rosinante theilte die abentheuer¬ liche Gestalt, im Tone einer Predigt, Befehle an die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬ lächter erfolgte.
Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß jene Zuschauer die Herrschaft des Ortes seyen, und da sie bemerkten, daß bereits alle Augen auf sie gerichtet waren, so übergaben sie ihre Pferde an Erwin und eilten, sich selber der Gesellschaft vor¬ zustellen. Herr v. A. und seine Schwester, die sich seit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬ hielt, erinnerten sich sogleich der ehemaligen freund¬ schaftlichen Verhältnisse, zwischen den beyden Häu¬
Singen und Wirren verſchiedener Stimmen lenkte bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen Landſchaft vor ihnen ab, und ſie erblickten ſeitwärts in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld, wo man ſo eben mit der Erndte begriffen war. Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte luſtig durcheinander, der laute Ruf der Merker erſchallte von Zeit zu Zeit dazwiſchen, und ſchwerbeladene Wagen zogen langſam und knarrend dem Dorfe zu. Im Hintergrunde dieſes Gewimmels ſah man eine bunte Gruppe von vornehmeren Perſonen gelagert, die den Arbeitern zuſahen und unter denen Leontin ſogleich das ſchöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬ ten unter ihnen ragte eine höchſtſeltſame Figur her¬ vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen, weißen Mantel ſaß auf einem hochbeinigten Schim¬ mel, der den Kopf faſt auf die Erde hängen ließ. Von dieſer ſeiner Roſinante theilte die abentheuer¬ liche Geſtalt, im Tone einer Predigt, Befehle an die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬ lächter erfolgte.
Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß jene Zuſchauer die Herrſchaft des Ortes ſeyen, und da ſie bemerkten, daß bereits alle Augen auf ſie gerichtet waren, ſo übergaben ſie ihre Pferde an Erwin und eilten, ſich ſelber der Geſellſchaft vor¬ zuſtellen. Herr v. A. und ſeine Schweſter, die ſich ſeit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬ hielt, erinnerten ſich ſogleich der ehemaligen freund¬ ſchaftlichen Verhältniſſe, zwiſchen den beyden Häu¬
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[104/0110]
Singen und Wirren verſchiedener Stimmen lenkte
bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen
Landſchaft vor ihnen ab, und ſie erblickten ſeitwärts
in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld,
wo man ſo eben mit der Erndte begriffen war.
Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte luſtig
durcheinander, der laute Ruf der Merker erſchallte
von Zeit zu Zeit dazwiſchen, und ſchwerbeladene
Wagen zogen langſam und knarrend dem Dorfe zu.
Im Hintergrunde dieſes Gewimmels ſah man eine
bunte Gruppe von vornehmeren Perſonen gelagert,
die den Arbeitern zuſahen und unter denen Leontin
ſogleich das ſchöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬
ten unter ihnen ragte eine höchſtſeltſame Figur her¬
vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen,
weißen Mantel ſaß auf einem hochbeinigten Schim¬
mel, der den Kopf faſt auf die Erde hängen ließ.
Von dieſer ſeiner Roſinante theilte die abentheuer¬
liche Geſtalt, im Tone einer Predigt, Befehle an
die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬
lächter erfolgte.
Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß
jene Zuſchauer die Herrſchaft des Ortes ſeyen,
und da ſie bemerkten, daß bereits alle Augen auf
ſie gerichtet waren, ſo übergaben ſie ihre Pferde an
Erwin und eilten, ſich ſelber der Geſellſchaft vor¬
zuſtellen. Herr v. A. und ſeine Schweſter, die ſich
ſeit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬
hielt, erinnerten ſich ſogleich der ehemaligen freund¬
ſchaftlichen Verhältniſſe, zwiſchen den beyden Häu¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/110>, abgerufen am 27.11.2024.
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