wendete sich um und verlohr sich unter den Men¬ schen. -- Leontin sagte: Ich möchte den Baum schütteln, daß er bis in die Wurzeln vor Freude beben sollte, ich möchte hier in's offene Fenster hin¬ einspringen und tanzen, bis die Sonne aufgienge, ich möchte wie ein Vogel von dem Baume fliegen über Berge und Wälder! -- Zwey ältliche Herren unterbrachen diese Ausrufungen, indem sie sich zum Fenster hinauslehnten. Ihr Gespräch, so ruhig wie ihre Gesichter, ergoß sich wie ein einförmiger, aber klarer Strom über die neuesten politischen Zeitbege¬ benheiten, von denen sie bald auf ihre Landwirth¬ schaft ablenkten, und aus den Blitzen, die man in der Ferne am wolkenlosen Himmel erblickte, ein günstiges Aerndtewetter prophezeiten.
Unterdeß hatte die Musik aufgehört, das Zim¬ mer oben wurde leerer. Man hörte unten die Thü¬ re auf- und zugehen, verschiedene Partheyen gien¬ gen bey dem schönen Mondscheine im Garten auf und nieder, und auch die beyden alten Herren ver¬ schwanden von dem Fenster. Da kam ein junges Paar, ganz getrennt von den übrigen, langsam auf den Baum zugewandelt. Gott steh' uns bey, sag¬ te Leontin, da kommen gewiß Sentimentalische, denn sie wandeln so schwebend auf den Zehen, wie einer, der gern fliegen möchte und nicht kann. Sie waren indeß schon so nahe gekommen, daß man verstehen konnte, was sie sprachen. Haben Sie, fragte der junge Mann, das neueste Werk von La¬
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wendete ſich um und verlohr ſich unter den Men¬ ſchen. — Leontin ſagte: Ich möchte den Baum ſchütteln, daß er bis in die Wurzeln vor Freude beben ſollte, ich möchte hier in's offene Fenſter hin¬ einſpringen und tanzen, bis die Sonne aufgienge, ich möchte wie ein Vogel von dem Baume fliegen über Berge und Wälder! — Zwey ältliche Herren unterbrachen dieſe Ausrufungen, indem ſie ſich zum Fenſter hinauslehnten. Ihr Geſpräch, ſo ruhig wie ihre Geſichter, ergoß ſich wie ein einförmiger, aber klarer Strom über die neueſten politiſchen Zeitbege¬ benheiten, von denen ſie bald auf ihre Landwirth¬ ſchaft ablenkten, und aus den Blitzen, die man in der Ferne am wolkenloſen Himmel erblickte, ein günſtiges Aerndtewetter prophezeiten.
Unterdeß hatte die Muſik aufgehört, das Zim¬ mer oben wurde leerer. Man hörte unten die Thü¬ re auf- und zugehen, verſchiedene Partheyen gien¬ gen bey dem ſchönen Mondſcheine im Garten auf und nieder, und auch die beyden alten Herren ver¬ ſchwanden von dem Fenſter. Da kam ein junges Paar, ganz getrennt von den übrigen, langſam auf den Baum zugewandelt. Gott ſteh' uns bey, ſag¬ te Leontin, da kommen gewiß Sentimentaliſche, denn ſie wandeln ſo ſchwebend auf den Zehen, wie einer, der gern fliegen möchte und nicht kann. Sie waren indeß ſchon ſo nahe gekommen, daß man verſtehen konnte, was ſie ſprachen. Haben Sie, fragte der junge Mann, das neueſte Werk von La¬
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wendete ſich um und verlohr ſich unter den Men¬
ſchen. — Leontin ſagte: Ich möchte den Baum
ſchütteln, daß er bis in die Wurzeln vor Freude
beben ſollte, ich möchte hier in's offene Fenſter hin¬
einſpringen und tanzen, bis die Sonne aufgienge,
ich möchte wie ein Vogel von dem Baume fliegen
über Berge und Wälder! — Zwey ältliche Herren
unterbrachen dieſe Ausrufungen, indem ſie ſich zum
Fenſter hinauslehnten. Ihr Geſpräch, ſo ruhig wie
ihre Geſichter, ergoß ſich wie ein einförmiger, aber
klarer Strom über die neueſten politiſchen Zeitbege¬
benheiten, von denen ſie bald auf ihre Landwirth¬
ſchaft ablenkten, und aus den Blitzen, die man in
der Ferne am wolkenloſen Himmel erblickte, ein
günſtiges Aerndtewetter prophezeiten.
Unterdeß hatte die Muſik aufgehört, das Zim¬
mer oben wurde leerer. Man hörte unten die Thü¬
re auf- und zugehen, verſchiedene Partheyen gien¬
gen bey dem ſchönen Mondſcheine im Garten auf
und nieder, und auch die beyden alten Herren ver¬
ſchwanden von dem Fenſter. Da kam ein junges
Paar, ganz getrennt von den übrigen, langſam auf
den Baum zugewandelt. Gott ſteh' uns bey, ſag¬
te Leontin, da kommen gewiß Sentimentaliſche,
denn ſie wandeln ſo ſchwebend auf den Zehen, wie
einer, der gern fliegen möchte und nicht kann. Sie
waren indeß ſchon ſo nahe gekommen, daß man
verſtehen konnte, was ſie ſprachen. Haben Sie,
fragte der junge Mann, das neueſte Werk von La¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/103>, abgerufen am 27.11.2024.
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