Freude über und über roth waren. Hin und wie¬ der zogen fröhliche, dicke Gesichter, wie Vollmon¬ de, durch diesen Sternenhimmel. Mitten in dem Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬ tyr, in den abentheuerlichsten, übertriebensten Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der Gesellschaft in eine einzige Karrikatur zusammendrän¬ gen. Bald darauf sah man ihn auch unter den Musikanten eben so mit Leib und Seele die Geige streichen. Das ist ein höchst seltsamer Gesell, sagte Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es ist doch ein sonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬ drich nach einer Weile, so draußen aus der wei¬ ten, stillen Einsamkeit auf einmal in die bunte Lust der Menschen hineinzusehen, ohne ihren inneren Zusammenhang zu kennen; wie sie sich, gleich Ma¬ rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was sie sprechen. -- O, ich könnte mir, sagte Leontin, kein schauerlicheres und lächerlicheres Schauspiel zu¬ gleich wünschen, als eine Bande Musikanten, die recht eifrig und in den schwierigsten Passagen spiel¬ ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne daß ich einen Laut von der Musik vernähme. -- Und hast du dieses Schauspiel nicht im Grunde täg¬ lich? entgegnete Friedrich. Gestikuliren, quälen und mühen sich nicht überhaupt alle Menschen ab, die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu gestal¬ ten, die jedem in tiefster Seele mitgegeben ist,
Freude über und über roth waren. Hin und wie¬ der zogen fröhliche, dicke Geſichter, wie Vollmon¬ de, durch dieſen Sternenhimmel. Mitten in dem Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬ tyr, in den abentheuerlichſten, übertriebenſten Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der Geſellſchaft in eine einzige Karrikatur zuſammendrän¬ gen. Bald darauf ſah man ihn auch unter den Muſikanten eben ſo mit Leib und Seele die Geige ſtreichen. Das iſt ein höchſt ſeltſamer Geſell, ſagte Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es iſt doch ein ſonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬ drich nach einer Weile, ſo draußen aus der wei¬ ten, ſtillen Einſamkeit auf einmal in die bunte Luſt der Menſchen hineinzuſehen, ohne ihren inneren Zuſammenhang zu kennen; wie ſie ſich, gleich Ma¬ rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was ſie ſprechen. — O, ich könnte mir, ſagte Leontin, kein ſchauerlicheres und lächerlicheres Schauſpiel zu¬ gleich wünſchen, als eine Bande Muſikanten, die recht eifrig und in den ſchwierigſten Paſſagen ſpiel¬ ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne daß ich einen Laut von der Muſik vernähme. — Und haſt du dieſes Schauſpiel nicht im Grunde täg¬ lich? entgegnete Friedrich. Geſtikuliren, quälen und mühen ſich nicht überhaupt alle Menſchen ab, die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu geſtal¬ ten, die jedem in tiefſter Seele mitgegeben iſt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0101"n="95"/>
Freude über und über roth waren. Hin und wie¬<lb/>
der zogen fröhliche, dicke Geſichter, wie Vollmon¬<lb/>
de, durch dieſen Sternenhimmel. Mitten in dem<lb/>
Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬<lb/>
tyr, in den abentheuerlichſten, übertriebenſten<lb/>
Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles<lb/>
Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der<lb/>
Geſellſchaft in eine einzige Karrikatur zuſammendrän¬<lb/>
gen. Bald darauf ſah man ihn auch unter den<lb/>
Muſikanten eben ſo mit Leib und Seele die Geige<lb/>ſtreichen. Das iſt ein höchſt ſeltſamer Geſell, ſagte<lb/>
Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es<lb/>
iſt doch ein ſonderbares Gefühl, erwiederte <hirendition="#g">Frie¬<lb/>
drich</hi> nach einer Weile, ſo draußen aus der wei¬<lb/>
ten, ſtillen Einſamkeit auf einmal in die bunte Luſt<lb/>
der Menſchen hineinzuſehen, ohne ihren inneren<lb/>
Zuſammenhang zu kennen; wie ſie ſich, gleich Ma¬<lb/>
rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen<lb/>
und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was<lb/>ſie ſprechen. — O, ich könnte mir, ſagte Leontin,<lb/>
kein ſchauerlicheres und lächerlicheres Schauſpiel zu¬<lb/>
gleich wünſchen, als eine Bande Muſikanten, die<lb/>
recht eifrig und in den ſchwierigſten Paſſagen ſpiel¬<lb/>
ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne<lb/>
daß ich einen Laut von der Muſik vernähme. —<lb/>
Und haſt du dieſes Schauſpiel nicht im Grunde täg¬<lb/>
lich? entgegnete <hirendition="#g">Friedrich</hi>. Geſtikuliren, quälen<lb/>
und mühen ſich nicht überhaupt alle Menſchen ab,<lb/>
die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu geſtal¬<lb/>
ten, die jedem in tiefſter Seele mitgegeben iſt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[95/0101]
Freude über und über roth waren. Hin und wie¬
der zogen fröhliche, dicke Geſichter, wie Vollmon¬
de, durch dieſen Sternenhimmel. Mitten in dem
Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬
tyr, in den abentheuerlichſten, übertriebenſten
Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles
Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der
Geſellſchaft in eine einzige Karrikatur zuſammendrän¬
gen. Bald darauf ſah man ihn auch unter den
Muſikanten eben ſo mit Leib und Seele die Geige
ſtreichen. Das iſt ein höchſt ſeltſamer Geſell, ſagte
Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es
iſt doch ein ſonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬
drich nach einer Weile, ſo draußen aus der wei¬
ten, ſtillen Einſamkeit auf einmal in die bunte Luſt
der Menſchen hineinzuſehen, ohne ihren inneren
Zuſammenhang zu kennen; wie ſie ſich, gleich Ma¬
rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen
und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was
ſie ſprechen. — O, ich könnte mir, ſagte Leontin,
kein ſchauerlicheres und lächerlicheres Schauſpiel zu¬
gleich wünſchen, als eine Bande Muſikanten, die
recht eifrig und in den ſchwierigſten Paſſagen ſpiel¬
ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne
daß ich einen Laut von der Muſik vernähme. —
Und haſt du dieſes Schauſpiel nicht im Grunde täg¬
lich? entgegnete Friedrich. Geſtikuliren, quälen
und mühen ſich nicht überhaupt alle Menſchen ab,
die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu geſtal¬
ten, die jedem in tiefſter Seele mitgegeben iſt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/101>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.