"Die Jugend muß austoben," pflegt man oft zu sagen. "Mache sie, o Herr, aus Kin- dern zu Greisen", so sagte einst der heilige Augustin. Diese zwei Sätze scheinen nicht zusammenzupassen, und doch sind beide rich- tig, und eine gute Erziehung muß es ver- stehen, beide am rechten Orte zur Geltung zu bringen.
Alles, was jung ist, was im Wachstum begriffen ist, wird durch ein inneres Be- dürfnis zur Bewegung angespornt. Die klei- nen Kinder machen ganz unbewußt so man- nigfache Sprünge und Bewegungen, als ob jeder Muskel, jede Faser an ihnen ihr besonderes Exercitium brauche, um sich ge- hörig zu entwickeln. Diese Unruhe tritt nach und nach auch im Gemüts- und Geistesleben zu Tage und sucht ihre Befriedigung in allerlei Spiel und Mutwillen. Die Gegen- stände wechseln mit den Jahren, aber das Bedürfnis der Bewegung, des Spiels, der unterhaltenden Beschäftigung dauert fort. Die größte Anstrengung, wenn sie freiwillig ist, ist Erholung, unthätige Ruhe, Lang-
26. Jüngling und Mann.
„Die Jugend muß austoben,“ pflegt man oft zu sagen. „Mache sie, o Herr, aus Kin- dern zu Greisen“, so sagte einst der heilige Augustin. Diese zwei Sätze scheinen nicht zusammenzupassen, und doch sind beide rich- tig, und eine gute Erziehung muß es ver- stehen, beide am rechten Orte zur Geltung zu bringen.
Alles, was jung ist, was im Wachstum begriffen ist, wird durch ein inneres Be- dürfnis zur Bewegung angespornt. Die klei- nen Kinder machen ganz unbewußt so man- nigfache Sprünge und Bewegungen, als ob jeder Muskel, jede Faser an ihnen ihr besonderes Exercitium brauche, um sich ge- hörig zu entwickeln. Diese Unruhe tritt nach und nach auch im Gemüts- und Geistesleben zu Tage und sucht ihre Befriedigung in allerlei Spiel und Mutwillen. Die Gegen- stände wechseln mit den Jahren, aber das Bedürfnis der Bewegung, des Spiels, der unterhaltenden Beschäftigung dauert fort. Die größte Anstrengung, wenn sie freiwillig ist, ist Erholung, unthätige Ruhe, Lang-
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26. Jüngling und Mann.
„Die Jugend muß austoben,“ pflegt man
oft zu sagen. „Mache sie, o Herr, aus Kin-
dern zu Greisen“, so sagte einst der heilige
Augustin. Diese zwei Sätze scheinen nicht
zusammenzupassen, und doch sind beide rich-
tig, und eine gute Erziehung muß es ver-
stehen, beide am rechten Orte zur Geltung
zu bringen.
Alles, was jung ist, was im Wachstum
begriffen ist, wird durch ein inneres Be-
dürfnis zur Bewegung angespornt. Die klei-
nen Kinder machen ganz unbewußt so man-
nigfache Sprünge und Bewegungen, als
ob jeder Muskel, jede Faser an ihnen ihr
besonderes Exercitium brauche, um sich ge-
hörig zu entwickeln. Diese Unruhe tritt nach
und nach auch im Gemüts- und Geistesleben
zu Tage und sucht ihre Befriedigung in
allerlei Spiel und Mutwillen. Die Gegen-
stände wechseln mit den Jahren, aber das
Bedürfnis der Bewegung, des Spiels, der
unterhaltenden Beschäftigung dauert fort.
Die größte Anstrengung, wenn sie freiwillig
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Egger, Augustinus: Der christliche Vater in der modernen Welt. Erbauungs- und Gebetbuch. Einsiedeln u. a., [1895], S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_vater_1895/205>, abgerufen am 24.11.2024.
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