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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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zu legen. Ja, die Behörden der Stadt würden dem schnöden Belästiger von vornherein die Erlaubnis verweigern, einen Schlot zu errichten, dessen Funktionen einen so evidenten Eingriff in eine fremde Rechtssphäre zu bedeuten hätten. Wenn sich dagegen über mir, unter mir, neben mir ein müßiger, geist- und talentloser Tagedieb einfallen läßt, von Morgens bis Abends durch Bearbeitung seiner Geige, seines Piano's, seiner Trompete unausgesetzt Tonwellen in mein Zimmer zu senden, die mir die Nerven zerrütteln, jede geistige Sammlung unmöglich machen, ja durch die Gleichzeitigkeit mit anderen Tonwellen eine Disharmonie erzeugen, die an das wütendste Heulen nächtlicher Kater erinnert, so giebt mir die conventionelle Rücksichtslosigkeit unserer Gesetzgebung absolut kein Mittel zur Hand, dieser brutalen Eingriffe in mein allerpersönlichstes Recht mich zu erwehren.

Und doch kann ich gegen die qualmenden Ausdünstungen der Esse mich halbwegs schützen, indem ich daß Fenster schließe.

Gegen die Tonwellen, die doch genauso real und in ihrer Wirkung weit nachhaltiger sind als die Rußwolken des Schlots, kann ich mich nicht einmal dadurch verteidigen, daß ich die Ohren mit Wachs verklebe, denn bekanntlich hört man auch durch die Mundhöhle.

Wir sind an den schreienden Mißstand, der sich hier kennzeichnet, schon so lange gewöhnt, daß wir uns wohl oder übel fast schon damit zurechtfinden, wie mit den Schrecknissen einer Naturgewalt. Und doch stehn wir in diesem Fall lediglich unter dem innerlich unberechtigten Bann einer conventionellen Rücksichtslosigkeit, deren Herrschaft durch einen einzigen kühnen Act der Gesetzgebung mühelos zu beseitigen wäre.

zu legen. Ja, die Behörden der Stadt würden dem schnöden Belästiger von vornherein die Erlaubnis verweigern, einen Schlot zu errichten, dessen Funktionen einen so evidenten Eingriff in eine fremde Rechtssphäre zu bedeuten hätten. Wenn sich dagegen über mir, unter mir, neben mir ein müßiger, geist- und talentloser Tagedieb einfallen läßt, von Morgens bis Abends durch Bearbeitung seiner Geige, seines Piano’s, seiner Trompete unausgesetzt Tonwellen in mein Zimmer zu senden, die mir die Nerven zerrütteln, jede geistige Sammlung unmöglich machen, ja durch die Gleichzeitigkeit mit anderen Tonwellen eine Disharmonie erzeugen, die an das wütendste Heulen nächtlicher Kater erinnert, so giebt mir die conventionelle Rücksichtslosigkeit unserer Gesetzgebung absolut kein Mittel zur Hand, dieser brutalen Eingriffe in mein allerpersönlichstes Recht mich zu erwehren.

Und doch kann ich gegen die qualmenden Ausdünstungen der Esse mich halbwegs schützen, indem ich daß Fenster schließe.

Gegen die Tonwellen, die doch genauso real und in ihrer Wirkung weit nachhaltiger sind als die Rußwolken des Schlots, kann ich mich nicht einmal dadurch verteidigen, daß ich die Ohren mit Wachs verklebe, denn bekanntlich hört man auch durch die Mundhöhle.

Wir sind an den schreienden Mißstand, der sich hier kennzeichnet, schon so lange gewöhnt, daß wir uns wohl oder übel fast schon damit zurechtfinden, wie mit den Schrecknissen einer Naturgewalt. Und doch stehn wir in diesem Fall lediglich unter dem innerlich unberechtigten Bann einer conventionellen Rücksichtslosigkeit, deren Herrschaft durch einen einzigen kühnen Act der Gesetzgebung mühelos zu beseitigen wäre.

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[43/0045] zu legen. Ja, die Behörden der Stadt würden dem schnöden Belästiger von vornherein die Erlaubnis verweigern, einen Schlot zu errichten, dessen Funktionen einen so evidenten Eingriff in eine fremde Rechtssphäre zu bedeuten hätten. Wenn sich dagegen über mir, unter mir, neben mir ein müßiger, geist- und talentloser Tagedieb einfallen läßt, von Morgens bis Abends durch Bearbeitung seiner Geige, seines Piano’s, seiner Trompete unausgesetzt Tonwellen in mein Zimmer zu senden, die mir die Nerven zerrütteln, jede geistige Sammlung unmöglich machen, ja durch die Gleichzeitigkeit mit anderen Tonwellen eine Disharmonie erzeugen, die an das wütendste Heulen nächtlicher Kater erinnert, so giebt mir die conventionelle Rücksichtslosigkeit unserer Gesetzgebung absolut kein Mittel zur Hand, dieser brutalen Eingriffe in mein allerpersönlichstes Recht mich zu erwehren. Und doch kann ich gegen die qualmenden Ausdünstungen der Esse mich halbwegs schützen, indem ich daß Fenster schließe. Gegen die Tonwellen, die doch genauso real und in ihrer Wirkung weit nachhaltiger sind als die Rußwolken des Schlots, kann ich mich nicht einmal dadurch verteidigen, daß ich die Ohren mit Wachs verklebe, denn bekanntlich hört man auch durch die Mundhöhle. Wir sind an den schreienden Mißstand, der sich hier kennzeichnet, schon so lange gewöhnt, daß wir uns wohl oder übel fast schon damit zurechtfinden, wie mit den Schrecknissen einer Naturgewalt. Und doch stehn wir in diesem Fall lediglich unter dem innerlich unberechtigten Bann einer conventionellen Rücksichtslosigkeit, deren Herrschaft durch einen einzigen kühnen Act der Gesetzgebung mühelos zu beseitigen wäre.

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/45>, abgerufen am 26.04.2024.